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FUZZY

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JUNI 22/2 # FUZZY


Was ARD und ZDF so geriatrisiert, ist nicht alleine das Programm, sondern der Habitus, der dort eingenommen, zur Schau gestellt und aktiv gepflegt wird.

Ein borniert-bemühtes, hüftsteifes Bildungsbürgertum, mit einem Hauch Pseudo-Intellektualität (Gert Scobel, Hirschhausen, Lesch) garniert, um den Stock im Arsch besser verkaufen zu können.

Diese Verlangsamung des Denkens, des Handelns, der Auffassungsgabe, die der Alterungsprozess zwangsläufig erzeugt, die wird dann natürlich auch weitergeleitet, ist sozusagen Impetus des Sendevorgangs. 

Je behäbiger, tradierter und satter die Realitätsvermittlung medialisiert ist, desto wahrscheinlicher die Abfindung mit der Gegebenheit. Wenn wir nichts verändern, dann wird das Publikum das auch nicht für nötig halten.

Und das Publikum wächst ja ständig nach, die Leute werden immer älter…

Ein Prosit der Gemütlichkeit.


Talkshows sind die Galerien des steuerfinanzierten Fernsehens, der Ort, wo in Konversation Leitkultur vermittelt und Umgangsform definiert wird.

Am deutlichsten ist das im NDR und bei 3 nach 9 zu sehen.

Hier mit Nina Ruge. Ich hatte schon vergessen, wie unangenehm die ist.

Textet in permanentem Anduzungstonfall über Verjüngung und „Gesundheit“, hat mit jetzt 65 dazu aber nichts anderes zu melden, außer den Alterungsprozess zu verlangsamen.

Ernährung, kein Zucker, biologisches Alter („zellulär bin ich 6 Jahre jünger!“) etc.

Stammzellentherapie, Gentechnische Programmierung, „ICH, als Biologin…“ - aus jeder ihrer Einlassungen spricht die Panik vor Verfall, alles, was sie im um Abgeklärtheit bemühten Ton verkündet, soll ihre Tiefenentspannung und ihre Jugendlichkeit ausdrücken, vermittelt aber eine Verzweiflung, die mit Vergänglichkeit nichts anzufangen weiß.


Alle wollen immer älter werden, keiner will ALT SEIN. Phänomenal. Paradox.

Wenn die Alten sich weigern, älter zu werden, zu reifen, eine würdevolle Anpassung und altersgemäße Eingefasstheit zu leben, an und in sich verändernde Lebensphasen, wo sind dann irgendwann die weisen Ratgeber, die wirklich gereiften, lebensweisen Alten? 

Diese Introjektionen und Selbstoptimierungen, die Verjüngungsegozentrik und die angetretenen Fluchten vor den sich vollziehenden Prozessen, die wirken nicht nur tragisch und lächerlich, sie nehmen den Jüngeren auch den Raum, der denen zusteht, weil die jetzt mal dran sind. 

Ihr hattet eure Zeit, jetzt sind andere an der Reihe. Vielleicht haben die andere Ideen, vielleicht machen sie irgendetwas besser, geht mal beiseite da, gebt die große Bühne und das Rampenlicht frei, ihr habt den gegenwärtigen Entstehungsprozessen nichts hinzuzufügen, weil ihr nur noch verwaltet, weil ihr aus der Zeit fallt, wenn und indem ihr vor ihr weglauft.



Die lockeren Plauderrunden der öffentlich-Rechtlichen haben grundsätzlich EIN Thema, eine Überschrift, einen Leitfaden:

ÖFFENTLICH-RECHTLICHE WIRKLICHKEITEN - und wie wir uns darin sehen, einrichten und wohlfühlen wollen.


Es wird dort ein Konsens verhandelt, ausgehandelt, dargestellt und erzielt, der Formen und Grenzen der zivilen Wirklichkeitsräume umreisst und an den Rändern mainstreamt.

Jeder Beitrag, jede Geste, jeder Haupt-und Nebensatz ist Artikulation eines curricularen Imperativs des Sagbaren, des Spielraums, der Duldung von Abweichung und der kommunikativ ausagierten Normativität.

Es wird gemeinsam und in gegenseitiger Rolleneinnahme- und zuteilung das debattiert und darüber befunden, was an Differenz noch tolerabel ist.


Es werden kulturelle Grenzen gezogen und installiert, die den Gestaltungsraum von öffentlicher Verkörperung und von sozialer Identität definieren, indem prototypisierte (und von moderierenden Prototypen vorgegebene) Kommunikationsmodi bereitgestellt werden. Wer innerhalb dieser Modalität frei und sicher operiert, erhält automatisch und per Nachweis Zutritt, findet sich eingeladen und teil-nehmend wieder, ist zugelassen als Akteur.


Die Grenzen markieren aber keine inhaltlichen oder diskursiven Räume, sondern transpersonale Konsensualisierungsvorgänge, die über Angemessenheit und Kompatibilität der Rollen befinden, die öffentliche Personen dialogisch entwerfen und intersubjektiv einnehmen.

Überzieht da jemand den eigenen Auftritt, oder bewegt sich außerhalb der konventionellen Rahmung, so entstehen unmittelbare Unschärfen, das Bild verschwimmt - und mit ihm die ganze (öffentliche) Person. 


Es ist immer wieder qualvoll, mitanzusehen, wie Gäste dieser Runden das Prinzip missverstehen, sich der Lächerlichkeit und der Bloßstellung preisgeben, im Bemühen, argumentativ und inhaltlich zu agieren und zu überzeugen. Das ist nicht nur nicht vorgesehen und nicht möglich, sondern vielmehr schon ein in die Falle gehen, da der operierende und geltende Plauderton, also der vorgegebene Haltungsdialekt, die diskursive Bemühung direkt als krampfhafte Anstrengung decodiert.

Die Sprache der angebiedert-vertrauten Ankumplung, der jovialen Entspanntheit und der aufgekratzten Losprusterei sieht dafür weder Tonfall, noch Vokabel vor.

Es ist die Sprache derer, die es gewohnt sind, so zu tun als ob.

Die Sprache der leicht distanzierten Ironie, wo man sich zwar wichtig, nicht aber beim Wort nehmen darf.

Eine Sprache und ein Setting, deren Bemühen um Authentizität und Gelassenheit zu massiven Verkrampfungen führt.

Es sind dann stets fein nuancierte Situationen, in denen eine leichte Schieflage sichtbar wird - ein minimal zu langes Schweigen, ein versehentlich mitgesendeter Subtext, ein nicht völlig eindeutiger Blick, ein zu später Kamerawechsel, eine Verlegenheitsgeste oder ein Fremdschäm-Moment - und anhand derer Dissonanz durchscheint, durch die brüchige Haut der Mimetik.

Etwas passt nicht ganz INS BILD, lässt zu viel Raum für Interpretation, die starren Wände des Formats wackeln.

( Wotan Wilke Möhring sagt in einem Nebensatz, dass „Schwulsein damals noch kein Beruf war“. Neben ihm sitzt Jochen Schropp. )


Der Ausschluss derer, die sich an sich selbst verheben oder die Sprache nicht beherrschen, wird unmittelbar vollzogen, indem er sichtbar wird. Ausgeschlossen, draußen sein heisst:

nicht (mehr) gesehen sein, nicht erkannt werden, keine oder zu wenig Schnittmenge bilden, zwischen Selbst-und Fremdwahrnehmung (oder sich nicht innerhalb dieser bewegen).


Schlimm für Jene, die, über das Konstrukt der öffentlichen Person hinaus, keine adäquate und konkreative Identität entworfen haben, entwickeln konnten.

Da bedeutet die Exkludierung aus den öffentlichen Räumen den Verzicht auf öffentliche Wahrnehmung und Spiegelung, und somit den Verlust der übernommenen sozialen, personalen und/oder ICH-Identität.

Dann werden leicht schizoide Züge und eine VERLORENHEIT sichtbar, das Vexierbild der Prominenz verliert die perspektivischen Konturen.

Die Betty Ford-Klinik wartet auf Ihren Anruf. 


Die Ausgeschlossenheit solcher Akteure ist ein konstitutives Element dessen, was in diesen Veranstaltungen verhandelt und präsentiert wird.

Jede Abweichung von Konsens und Normativ definiert und installiert gleichzeitig die zu beschreibende Entsprechung, hält diese aufrecht, indem somit und dialektisch die konventionellen Grenzen und deren Überschreitung markiert sind.


Dass W.W. Möhring da so frech und leicht flegelhaft (so hätte es Hubertus Meyer-Burckhardt wohl beim Rotwein danach formuliert) rumlümmelt… - bisschen lächerlich, er negiert damit jedoch das Hausrecht und vermeidet beinahe die Etikettierungen, irgendwie.

Es scheint manchmal, als bewegten sich Schauspieler anhand der Intersubjektivität eines Dritten, anwesend oder nicht. Möglich, dass es der szenisch geübte Umgang mit am Ende dann anwesenden Zuschauern oder mit durchlaufend sendenden Kameras ist, der das herstellt und verfügbar macht.  

Nie wirklich oder primär in der direkten Interaktion mit dem Gegenüber zu sein, oder diese bei Bedarf oder Belieben auch einfach verlassen zu können, zugunsten des Objektivs, der imaginierten Szene, oder eben eines Dritten, ego-isiert und emanzipiert die Entworfenheit, und hierarchisiert das Rollenverhalten. 

Es verunsichert den Anderen, wenn der Eine nicht auf dessen Sendungen oder Rückkopplungen angewiesen ist oder zurückgreift, und es ermöglicht diesem wiederum das relativ freie Spiel und die freiere Bewegung in den intersubjektiven Räumen. 


Is there anybody out, there?

Is there anybody, out there?


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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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