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die selbsterklärung geht dem ich am arsch vorbei

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JULI 18/1 die selbsterklärung geht dem ich am arsch vorbei

...und die Sätze und die Aussagen, die wir mit dem Wort "ICH" beginnen oder einleiten, verweisen am allerwenigsten auf uns selbst. ( JUNI 18/6 )

Angekündigt hatte ich, darauf noch Bezug zu nehmen - weil sich das als Thema irgendwie momentan immer weider aufdrängt, weil es sich aus dem Hintergrund in das Vordergründige schiebt, weil es eine Anforderung darstellt, eine Art "Mitte" zu finden, zwischen übersteigerter Selbstreferenz und zu hoher Selbstdistanz, zwischen einem sich nur noch um die eigene Befindlichkeit Drehen und einem sich selbst Verdrängen und dadurch aus den Augen verlieren. Das Paradoxon ist: Ich spreche am wenigsten von mir, wenn ich von mir rede. Ich kann meinen Standpunkt nicht erkennen, weil ich ihn ja einnehme oder eingenommen habe. Ich muss meine Füße heben, um zu erkennen, was sich darunter befindet. Ich muss den eigenen Standpunkt verlassen, um mich seiner zu vergegenwärtigen. Meinetwegen ist das plakativ, profan, eine allzu bemühte Metapher oder Bildhaftigkeit. Aber es versucht das Dilemma zu beschreiben, welches dieser "tote Winkel" unserer Selbstwahrnehmung darstellt, indem jedwede Position, die wir als Sprecher, als Denker, als Akteur einnehmen, ihre eigene Referentialität zwangsläufig übersehen MUSS, da die Position gleichzeitig immer auch die des WAHRNEHMENDEN ist. Ein "blinder Fleck" also, der nur für und durch andere in Bereiche des gespiegelt Sichtbaren gelangen kann. Siehe dazu auch: Egocentric frame of reference, von wem habe ich vergessen.

Ich will und ich soll also nicht mehr ICH sagen. Ich will keine Aussagen darüber machen, wer ich bin. Weil das ohne Bewandnis ist und sein muss, für einen Selbst, für das Selbst, und weil das ohnehin im Vollzug des täglichen Lebens und Daseins transparent wird, wer oder was oder wie man ist, nicht aber durch ambitionierte "Selbsterklärungen". Am fragwürdigsten die Aussage : " ich bin ja son Mensch, der…" Das geht dem Ich am Arsch vorbei, für wen wir uns halten, was wir wie finden, wie wir wozu stehen und uns äußern. Nichts könnte das Ich weniger tangieren und vom Selbst entfernen, als der vollzogene Anspruch, durch Ich-Aussagen sich dem Selbst anzunähern. Das steht doch unumstößlich, in jedem Augenblick, in jeder Handlung und durch jede Tätigkeit immer schon fest, wer und was und wie wir sind: Der oder die, die das jetzt da gerade getan oder gelassen haben, genau der oder die sind wir gerade, die da so handeln, tun und unterlassen. Reicht doch, oder nicht?

Und wenn wir mit Klienten über ( ihre ) Identität sprechen, dann geht es eben nicht darum, sich einem vermeintlich bestehenden, "authentischen" Selbst oder einem möglichst wahrhaftigen Selbstentwurf anzunähern, sondern vielmehr um den Dialog, der stattfindet, netzartig, und nicht im Kreis. Jegliche "Erkenntnis" von Sachverhalten, die im Bereich der metakognitiven Gesundheitsbildung auf identitätsstiftende Momente verweisen könnte oder hinzuweisen scheint, entsteht und besteht nicht aus einer Art "Aha - das also bin ich!", sondern aus der Tätigkeit, sich intersubjektiv AUSEINANDER-GESETZT zu haben, und das gerade auch im konkreten Sinne. Nur das Auseinander-gesetzt-sein kann auf das Bestehen einer Ganzheit verweisen. Und dass es dafür einen Zeugen, einen Teilnehmer oder Akteur gibt, der nicht wir selbst sind, wirft den Blick darauf zurück.

Die eigentliche Annäherung an etwas, dass mit einem Selbst zu tun hat, ergibt sich immer nur im Hinblick darauf, was wir tun oder lassen, was wir ändern, verändern und vor allem darauf, was wir LERNEN können, müssen oder dürfen, wie wir Antworten finden und geben auf die Fragen, die das Miteinander uns stellt und wie oder wofür wir uns entscheiden, im Hinblick darauf, wer und wie wir sein könnten und sein wollen, in der sozialen PRAXIS. Einfacher gesagt: handeln wir so, wie ein Arschloch handeln würde, oder eben nicht?

Das Sein und die Gegenwart entfalten sich möglicherweise auch eher durch "Rücknahme", durch ein aktives Zurücknehmen des Selbst, durch Aufmerksamkeit für Belange der oder des jeweilig Anderen. Wachheit und Interesse für das, was einem selbst als nicht zugehörig wahrgenommen wird, kann die Verdrängungsprozesse in uns beenden oder unterbrechen, denen wir unterworfen sind, in denen wir uns befinden und denen wir uns geradezu ausliefern, wenn wir meinen, darauf mit gesteigerter Selbstreferenz, mit nervender Selbsterklärung, oder sogar mit einem Streben nach Selbstoptimierung zu reagieren. Das bringt uns Uns nicht näher, das verdrängt uns und das entfernt uns von Uns. Netzdialog bedeutet doch auch, sich eben NICHT im Kreis zu drehen, und nach einer vollständigen Drehung wieder bei sich selbst zu landen und darauf zu blicken.

Vielleicht fällt es den meisten Klienten auch deshalb so schwer, im phänomenographischen Interview zu antworten, weil sie irrtümlicherweise annehmen, sie würden durch Mitteilung dessen, was sie denken und fühlen, Aussagen darüber machen, wer sie SIND. Häufig entsteht der Eindruck, die Leute würden vermeiden wollen, etwas "Falsches"zu sagen, man solle keinen "falschen" Eindruck bekommen, ausgedrückt z.B. durch ein "ich weiss nicht, was sie jetzt hören wollen..." Das ist ja ein Irrtum, zu meinen, man würde die Aussagen und damit den Aussagenden daraufhin bewerten, ihn anhand seiner Aussagen auf irgendeine Art prüfen oder überprüfen, sich ein Urteil bilden oder gar ein Solches FÄLLEN, das steht ja niemandem zu und das wird auch vermieden, die Bewertung und das Urteil, darum geht es ja überhaupt nicht, die Menschen sollen auch nicht festgelegt werden, durch ihre Aussagen auf irgendeine Art von "So-sein", sondern es entstehen bestenfalls Möglichkeiten, gangbare Wege, sichöffnende Dimensionen und eben Potentiale, um Schritte zu machen, um zu springen. Die Anforderung besteht also wiederum nur darin, den eigenen - cerebralen und sensorischen - Quark zur Diskussion zu stellen. Es erscheint paradox, dass dies mit einer derartigen Überwindung und Anstrengung konnotiert wird und verbunden ist, obwohl sich mittlerweile ja beinahe stündlichöffentlich geäußert wird.

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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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