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MAMMA MIA

Blog Single

Juni 22/3  #mamma mia

Ich habe ganz schlecht geträumt, neulich.


Es fing damit an, dass die J und ich uns mal einen richtig schönen Ausgehabend machen wollten - originär norddeutsch schick Essengehen, exklusiv auf oldenburgisch - und einen Tisch beim beliebtesten Italiener reservierten.


Vorher ging die J  extra noch nach Brake zum Frisör, um sich den typisch-nordwestdeutschen Schnitt w/Ü35 verpassen zu lassen, also freche blondierte Strähnchen im kurzen Mecki - vorne das Pony mit etwas Spray toupiert - endgeil!

Ich zog natürlich nach und erstand bei C+A das wirklich allerletzte grünblau-karierte kurzärmlige Hemd, zu dem ich dann die dunkelblaue MAC-Jeans (original nur von Leffers!) wählte, weil es sich auch farblich optimal mit meiner Fahrradklammer vertrug, die ich am rechten Hosenschlag trug, den ganzen Abend.

Unsere Fahrradhelme hatten wir selbstverständlich stilistisch aufeinander abgestimmt.


Wir nahmen Platz („Prego, prego!), bestellten zwei Aperol-Spritz und zwei Lambrusci und zwei Prosecci (Mehrzahl, jeweils) und die Speisekarte.

An den anderen Tischen wurde fortlaufend von den Oldenburger Kavalieren der besseren Gesellschaft auf italienisch bestellt, total fresh, „scusi, due caputschini por favore“, worauf man dann mit dem bewährten und ja irgendwie auch tollen, weil „typisch italienischen“ Verachtungsblick belohnt wird.

Das wollten wir auch, also versuchten wir uns anzupassen und wie alle anderen maximal anzubiedern.


Der Herausgeber dieses lokal extrem steilgehenden Magazins, wie hieß das noch gleich, das, wo man sich einkauft und dann eine als Artikel verkleidete Werbung schalten kann, der war natürlich auch da, bei dem schaute ich mir folgendes ab:

Gleich zu Beginn mal den Chef vortreten - und selber irgendwie raushängen - lassen, dann die Karte verweigern und den Stammkunden-Habitus einsetzen - „machst du mir als Antipasti bisschen Vongole, aber nicht wie gestern, mehr wie vorgestern, bisschen mehr Zitrone und am Rand noch Origami, dann brätst du mir ein Dry-Age, aber diesmal wirklich medium, Dienstag war das paar Sekunden zu lang, weißt du selber (Augenzwinkern, Hand auf Arm des Chefs legen und nicht mehr runter nehmen, wichtig!), einfach nur Salat und den 12´ér Montalcino dazu, über Dessert reden wir später…“

Abgang Chef, dann zurücklehnen und so tun, als würde man die Herren an den Nebentischen zurück-grüßen, völlig egal, ob die vorher selber auch gegrüßt hatten, also in der Realität, nicht in der Wirklichkeit.

Das muss man beherrschen, diese Sansibar-Syltaufkleber am Auto-Klaviatur muss man schlafend und im künstlichen Koma abrufen können, ein-bis zehnfingrig, sonst wirkt das irgendwie bemüht, und ausserdem total lächerlich…


Ich merkte sofort, dass der J das unheimlich gut gefiel, da konnte die sich gar nicht richtig gegen wehren, das ist angelegt, von der Natur, ist ganz archaisch, da schaut man als Frau sofort auf und will sich erniedrigen lassen, von diesem Weltmännertum. 

Global Player eben - das hat man oder nicht, und die Frauen lieben das wirklich ALLE, vor allem in Norddeutschland, in Wiedenbrück, und Dubai.


Als wir dann bereits nach 45 Minuten die Speisen bestellen durften, machten wir den ersten Fehler:

Wir waren zu freundlich, geradezu höflich.

So wird das nix, so reiht man sich dann höchstens noch ein, in die grausame Ansammlung des Mittelmaßes, dem hier einfach nur mit völliger Missachtung begegnet werden kann, und das ausserdem noch völlig zu Recht!

In Oldenburg seit Jahrzehnten beliebtester Italiener zu sein, das schafft man nur, wenn man dem Oldenburger Mittelstand das gibt, wonach er sich sehnt, und das war, ist und bleibt die totale Erniedrigung, persönlich und kulinarisch betrachtet.


Jedenfalls waren wir schon granatenstramm, als wir um halb elf unsere Lasagni (Mehrzahl) bekamen. 

Dazu muss man wissen:

Wir Norddeutschen haben beim schick Essengehen einen Grundsatz:

MEHR IST MEHR.

Und daran hält sich auch der beliebteste Italiener.

Einen Liter Tomatensuppe von Knorr erhitzen, zwölf große Lasagnescheiben darin einweichen und am Ende die Gewürzmischung von Miracoli draufpacken und verrühren. Ein Pfund Edamer schmelzen lassen und exakt dann beimengen, wenn er so richtig amerikanisch und gummimäßig Fäden zieht - unglaublich lecker, ausserdem was fürs Auge und was zum Spielen für die Kids.


Weil wir die Zeit zwischen Aperitivi (Mehrzahl) und Hauptgang nicht nur mit angeregten Tischgesprächen (s.u.) verbrachten, sondern auch mit jeweils 23 ungetoasteten Scheiben Weißbrot von Harry (regional aus Osnabrück) überbrückten, lag uns schon ein empfundenes Hinkel-oder Grabsteinensemble in den Mägen, was auch eher ein Nachteil war, vom Ende her betrachtet.


Die Konversation beim schick Essengehen ist traditionell und regionaltypisch eher reduziert bis minimal, häufig lässt man sie auch einfach weg und sie fällt somit ganz aus.

Man versteht sich ja auch ohne Worte.


Den zweiten und letzten, weil entscheidenden Fehler, machte ich dann ganz zum Abschluss, beim Bezahlvorgang, den ich nur noch in Bruchstücken erinnere, der sich aber laut der J ungefähr so zugetragen haben soll:

Ich war mittlerweile wohl zu vollumfänglichem italienisch gewechselt („scusi sinjori bagari per carti“), was mich auf der Verachtungsskala ein paar Plätze nach vorne rutschen ließ.

Dem Kellner muss dann aber selber auch ein Fehler unterlaufen sein, und zwar einer, den er bisher erst ein einziges Mal machte - nämlich bei meinem vorangegangenen Besuch, irgendwann an einem Frühlingsmittag. 

Damals hatte ich mit Kreditkarte den Betrag von 13€ (Lasagne, Einzahl) anweisen wollen, er hatte sich aber versehentlich vertippt und 130€ eingegeben („Scusi signore, scusi“). Kann passieren. Auch damals hatte ich mich nicht erblödet, dies zu bemerken und hatte die Differenz von 117€ -völlig läppisch und impertinent- eingefordert, was mich unmittelbar zu einem Kriechtier deutscher Miefigkeit, Kleinlichkeit und Kleinbürgerlichkeit degradierte.

Er fischte fließend 100€ aus dem Geldbeutel und drehte sich schon um, der reguläre Norddeutsche rechnet so, 130 minus 13 macht eben 100, eh klar, ich aber musste es natürlich wieder übergenau nehmen und ihm vor versammelter Gästeschaft die fehlenden 17€ vorhalten - naja, man kann sich denken, wie bucklig und geprügelt ich diesen Tisch verließ, Köpfeschütteln an den Nebentischen, Zungeschnalzen beim Herausgeber, ich stand kurz vor einem lebenslänglichen Hausverbot…


Diesmal verfehlte der Kellner den Rechnungsbetrag von herkömmlichen und ausserdem überschaubaren 185€ wiederum, indem er die Nichtigkeit einer 0, also einer Nichtsumme, einer Nichtexistenz, beim Eintippen anhängte - und den Betrag versehentlich auf 1850€ aufrundete. 

Dem Herausgeber wäre so etwas ebensowenig aufgefallen, wie dem indigenen Oldenburger Weltmann, auch im Nachgang nicht und auch nicht bei der Steuererklärung, und im aperolbefreiten Zustand der Sinnesbeherrschung, in dem ich mich immer wieder mal befinde, hätte auch ich daran keinen Anstoß genommen, man ist ja nicht kleinlich. 

Aber ich war eben betrunken, nein, sternhagelvoll, bis nach Meppen mindestens, da ist man ja nicht nur völlig enthemmt, sondern auch nicht mehr wirklich Herr seiner eigenen Veranlagung geschweige denn seines eigenen Charakters! 

Ich monierte, sozusagen.


Die Stimmung und die Situation kann man sich dann vorstellen, etwa wie in einem alten Western, ein Mann betritt den Saloon, das Piano verstummt, Schweigen allenthalben, absolute und plötzliche Stille, der Barkeeper duckt sich unter die Theke…

Annähernd so empfand ich die Blicke, die man auf mich warf und die mich sozusagen und konkret al dente trafen, wie noch nicht gekochte Cannelloni (…).

Ich war im selben Augenblick nüchtern wie ein Babypups, wie Margot Käßmann am morgen danach, wollte es zurücknehmen, mit dem großen Schwamm der Generösität drüber wischen - es war zu spät, da ist der italienische Kellner beleidigt, er hat seinen Stolz, das weiß man ja, als deutscher Pauschaltourist, da ist dann nichts zu machen.


Wiederum in einer Handbewegung holte er grüne und braune Scheine aus der Börse, ließ diese und zynisiert-vernichtende Entschuldigungs-Stakkati (Mehrzahl) gleichzeitig auf den Resopaltisch hageln, und den und den und den…scusi scusi scusi - es war eine Demütigung, für mich, für die J, für den Herausgeber, der ja mit mir ungewollt zu fraternisieren hatte,  wir waren schließlich beide norddeutsche Kundschaft - 

ja eigentlich symbolisch für ganz AMMER-oder NORDDEUTSCHLAND!

Ich weinte jetzt, die J auch, Tränen kullerten und ein Schluchzen - nein, halt, stop, das stimmt nicht mehr, mir geht der Gaul jetzt durch…


Der Oldenburger, der Nordwestdeutsche, sozusagen, lebt aber nicht alleine das schon erwähnte MEHR IST MEHR Prinzip, das kulinarisch waltet, sondern hat auch die Eigenart, preisliche Exklusivität mit einer Qualitativen gleichzusetzen, ja geradezu zu verwechseln. 

Was teuer ist, das muss auch gut sein. 

So kann sich das erklären, was vielen Nicht-Eingeborenen beim Besuch auffällt, nämlich ein massives Gefälle zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen gewollt und geleistet.

Sieht toll und edel aus, hört sich verdammt nach haute-cuisine an - schmeckt aber wie verdammtes Plastik, das merken dann jedoch und zumeist nur die Besucher oder Zugewanderten, die Immigrierten oder wenigstens Immatrikulierten.

Die Logik dahinter ist vom Prinzip her Jener ähnlich, der wir Deutschen historisch betrachtet auch schon aufgesessen sind: „Der muss doch Recht haben, sonst würde der doch nicht so SCHREIEN!“


Na ja, wie anfangs angekündigt, bin ich dann irgendwann eingeschlafen und habe schlecht geträumt…


Jetzt ist es aber raus, jetzt ist es gesagt.

Ich rechne spätestens seit jetzt ab morgen jeden Morgen damit, aufzuwachen, und neben mir nicht den hübschen Kopf der J, sondern den nicht mehr hübschen, weil abgetrennten Schädel eines Pferdes neben mir liegen zu sehen.





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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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