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PRO BONO

Blog Single

JANUAR 22#2 PRO BONO

Die Dokumentation der ersten Worte, also die beabsichtigte Betätigung einer Art „Hahn“, der das Erstgedachte direkt aus dem Gehirn auf das gewählte Medium tropfen lässt (ERSTEWORTEBLOG), bringt es zeitweise mit sich, dass man bei der Rezeption unsicher ist, ob man sich jetzt auch schon einreiht, in das Kulturgut des allgemeinen Stammtischgenöle („das SYSTEM ist am Ende und außerdem schuld!“).

Ob man selber schon die Art Depp verkörpert, gegen den man ja irgendwie auch sich nötigt, anzudenken-und zu schreiben, oder ob man dann doch zu streng mit sich ins Gericht geht.


Vielleicht muss ich mich konkreter aus-drücken, den Kescher an besser ausgewählten Orten in den Gedankenstrom halten:

Es geht gerade NICHT um das bewährte und (all-)gemeine Lamento, das wir normal-frustrierten Nordeuropäer privilegiert sind, abzusondern.

Die mittelbar empfundene, weil mitgesendete Nähe zu solchen Verdeppungstendenzen, die eine Auseinandersetzung mit Begriffen und Begebenheiten wie einem oder dem System scheinbar bereithält, ist mir nicht angenehm, gerade ob des Aufschlussreichtums, der die eigene Rahmenkonzeption betrifft und damit unaufrichtige, verklärte Selbstbilder (extra-)poliert.

Und es ist auch nicht beabsichtigt, diese Eindrücke und Tendenzen irgendwie rückgängig zu machen, nachtragend und nachträglich gegen die Primär-Gedanken anzuschreiben und sich zu rechtfertigen, vor den eigenen Bewertungsinstanzen.

Vielmehr entsteht das Bedürfnis, in eine tiefere Auseinandersetzung zu gehen, mit den behandelten und ohnehin (dem Blog) intentional zugrundeliegenden Sachverhalten, zu denen auch das eigene Phaneron aus fühlen, denken und empfinden gehört.


Was zu vermeiden ist: 

Ausgeleiertes Gedankengut künstlich straffen, durch pseudo-intellektuelles Rumgelaber.

Wo es hingehen soll: 

Sich entledigen. Weglassen, schon im Denkvorgang das Adjektiv zerstören, kurze klare Sätze.

Und ermessen, was veränderbar, was Geste und was zu überwinden ist. 

Betreff: TEXT und SEIN


Interessant ist, dass da Stress entsteht, den die Rezeption des eigenen Textes erzeugt, eine empfundene Dissonanz, sobald die Augen dem Getexteten und dessen Entstehungsbedingungen gegenüber geöffnet werden.

Der Verzicht auf Korrektive soll ja gerade die vorsätzliche Bemühung um Einnahme einer Sprecherposition, die sich vom ICH unterscheidet, vermeiden. 

Ebenso wie jegliche Manierismen, die den bearbeiteten Text automatisch befallen, verändern, aufzupumpen drohen. 

Vielleicht ist auch hier die Diskrepanz entscheidend, die im Entstehen überhaupt erst Aufschlusserweiterung bereitstellt. Das Erkennen des eigenen Standpunktes ist nur im Verlassen desselben, also nachträglich, möglich. 

Ebenso die Selbstwahl, die sich im selben Augenblick verändert, in dem sie identifiziert wird - indem sie identifiziert wird.

Der Text, der den Kenntnisstand des Verfassers bereichert, muss also demnach zwangsläufig stressen und Zweifel erzeugen, da sich deckende Ich-Konzeptionen (verfassend und rezipierend) auf der Stelle träten.

So wird dann jeder Folgetext bestenfalls zum Abgesang auf dessen Vorgänger - den er sondiert, ausschlachtet, aussaugt, dessen Mehr-und Nährwert er sich einverleibt, bis er selbst zum Vorgänger und wiederum zerpflückt und geerntet wird. All dies im Falle des Gelingens.


Warum dann überhaupt ein Blog als Medium fungieren muss (und eben gerade NICHT ein Tagebuch o.Ä.), ist mir jetzt wieder klargeworden, beim Schauen eines Harry Potter-Films: 

Da findet ein digital arrangierter Dialog zwischen Harry und Dobby statt. Das Gesagte, der Sprechakt, das gesamte Handeln von Daniel Radcliffe bleibt irgendwie resonanzlos, wird nicht zurückgeworfen, gespiegelt, er sondert Sprechblasen ab, die im Raum umherschweben und unempfangen platzen, weil die Figur, mit der er interagiert, weder anwesend ist, noch analog existiert.

Man kann das sehen, andernfalls, wie der Leib im Raum fungiert, wie die Interaktion von zweien eine dritte, intersubjektive Instanz erschafft, bereitstellt, anspricht.

Für den geschriebenen Text hat die räumlich-leibliche Komponente keine Relevanz, wohl aber die Mitteilung,

als intentionaler Akt des Sprechens.


Was ich eigentlich sagen wollte, das völlig durchgekaute „System“ betreffend:

Die Ruhe, die unmittelbar einkehrt und aktiviert ist, wenn das stotternde Vertrauen anspringt, das in die gesellschaftliche Rahmung besteht, in die Eingefasstheit in kollektive Regeln und Gesetze und natürlich in Viele von jenen, die all das umzusetzen, zu entwerfen und rechtsprechend abzuwickeln installiert sind. 


Und damit und automatisch auch die Langweiligkeit dieses Einverständnisses, die zwangsläufige Erschlaffung, die eine empfundene Ent-Spannung eben auch erzeugt.

Sich mit steigendem Alter von den Positionen der jüngeren Jahre zu distanzieren, muss nicht unbedingt rational bedingt sein, einem vermeintlich erweiterten Kenntnisstand folgen. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass mit der Lebenszeit der Angstfaktor ebenso ansteigt, wie Wut, Mut und Sehnsüchte an die Peripherie verlagert werden. Mit der Anhäufung von abgleichbaren Erfahrungsdaten inszeniert die narrative Identität eine Art Reifeprozess, dem die Selbstkonzeption nicht widerspricht, weil die derart gedeuteten Vorgänge von Illusionsabgang und Sprachlosigkeit dann nicht mehr so weh tun. 

Auch deshalb wird jetzt goutiert, was einst radikal abgelehnt wurde.


(Besonders tragisch: 

Der Kreativitätsverfall des erfolgreichen, „reifen“ Künstlers, der nichts mehr zu sagen und beklagen hat, die eigenen Zitate zitiert und per immer theatralischerem Habitus sich bemüht, diese Abstumpfungsprozesse zu kompensieren.

Es lauern: Rotgetönte Sonnenbrillen, Charity-Veranstaltungen und „Night of the Proms“…

Bremen 2 nennt das dann „reife Musik für Erwachsene“…- eine Beschreibung, die selbst Bono Vox und Müller-Westernhagen angewidert von sich weisen dürften.)


Das nicht mehr jugendliche, ent-hysterisierte Denken und Fühlen fasst jene Überspanntheiten als bedrohlich und anstrengend auf, die es einst inspirierten und faszinierten.

Und tut es das nicht, muss es zumindest prüfen, ob es Reminiszenzen pflegt, ob es das Gegenwärtigkeitspotential ungenutzt lässt und stattdessen sich zurücksehnt, nachträglich etwas rückblickend installiert, das als Sehnsuchtsort verklärt und als Vermeidungsstrategie missbraucht wird.


Und wieder zurück, zur Rahmung und zum Einverständnis: 

Die Positionierung und die Bewegung jedes Einzelnen, vielleicht am äußersten Rande, aber stets noch innerhalb jenes Rahmens, konstituiert diesen im täglichen Handlungsvollzug, über jede Theorie hinaus. 

Die Markierung von Grenzen und deren Überschreitungsdefinition, ermöglicht erst den jeweiligen Freiheitsvollzug: indem Bedingungen gesetzt sind, allgemein geltend und grundsätzlich nicht verhandelbar. 

Ein grenzenloser Raum ist nicht als ein Solcher definiert, erkennbar und markiert. 

Man wird sich dessen Betretung nicht gewahr. 

Man wird sich irgendwann verlaufen.


Das (An-)Erkennen der Bedinglichkeiten, unter denen Kollektivierung entstehen kann, sowie die Akzeptanz der Begrenzung individueller Spielräume, ist jeweils Voraussetzung und Grundlage für jedes kleine Aufbegehren und die Beschwerden im Detail, die dem regulären Egomanen dadurch überhaupt ermöglicht sind.

Durch die geräuschfreie Übereinkunft, diese (Vereinbarung von) Realität grundsätzlich eben NICHT anzutasten, niederzubrüllen, plattzumarschieren -

Durch die geteilte Überzeugung, dass diese Konzeptionen ein annähernd zivilisiertes Zusammenleben von Mensch+1 bis 8 Milliarden am ehesten bereitzustellen und aufrechtzuerhalten imstande sind -


…undsoweiter … wiegesagt … 


- ja, der Stammtisch ist schon wieder sichtbar…

Er so: That´s me in the corner. Lokalrunde für alle!

Und Sie dann so: …und für mich ein Herrengedeck*In !







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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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