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Hölderlin, lass dein Haar herunter

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JUNI 22/4 # Hölderlin, lass dein Haar herunter

Ich verstehe das immer noch nicht.

Was ist das für ein Gefühl, stressend, bedrängend, schräg.

Immer dann, wenn die Rezeption des eigenen Textes sich mit Ironie und Sarkasmen befasst, wenn dies also der prägende Ansatz der eigenen und beim Schreiben vorherrschenden Weltauffassung war. Distanz im Zugang wahrnehmen und in die Umwelt hineindenken, die da nicht ist und auch nicht sein soll.

Etwas stimmt nicht, ist falsch, die Verneinung liegt quer im Magen, die Weise, wie der Text die Wirklichkeit zeichnet und  gleichzeitig von ihr gezeichnet wird - schäbig, lachhaft, präpotent und manieriert.


Dass es mir immer noch und immer wieder so geht, wie jetzt, wenn der Hass oder die Wut impulsgebend waren, wenn diese Emotionen und Affekte mich zum Sprechen verleiteten, mich auftexten ließen, etwas zur Sprache brachten, was da eben auch ist, was gehört und artikuliert werden will. 

Sprache, die es nicht so meint. 

Ist schon okay, es war notwendig, Psychohygiene, Selbstbehauptung, gegen sich und den eigenen Weltzugang anschreiben, die Wirklichkeit und den Erfahrungsraum korrumpieren, kompromittieren, die Zentren der Intentionalität wieder konsolidieren, ausrichten auf das, worum es wirklich und eigentlich gehen soll, wovon alles und alle im GRUNDE auch nur handeln können, wenn die Störgeräusche durch Aufgreifung runtergepegelt sind, und in der Konfrontation dann nebensächlich werden.


Nicht nur aus den gekippten Fenstern zur Welt schauen, defensiv und vorsichtig, mit nur einem halbgeöffneten Auge, die Türen und die Fenster vielmehr ab und an auch mal ganz öffnen, wuchtvoll aufreißen und irgendetwas irgendwie hinausbrüllen, gegen Lebenswelten anbrüllen, am besten gegen die eigene.


Dieser unmittelbare und unbedingte Kater, nach dem ironischen Schwächeanfall, macht der etwas deutlich?

Ist das ein Verweis?

Es muss sofort wieder auch anders gehen, weitergehen, eine solche Aufgefasstheit von Dasein, Mitwelten und Ko-Akteuren, aus einer Art defensiven An-und Übergriffigkeit heraus, die fühlt sich nicht gut, nicht richtig, eher schon inadäquat an.

So nicht sein wollen. So nicht sehen, wahrnehmen und empfinden wollen. So nicht produzieren wollen, das alles nicht müssen wollen.


Da soll Zurückgenommenheit sein, mehr Zartheit, Fragilität, Taumel. Der Arm, der nach draussen greift, der sich nach Welt streckt, der soll das tastender tun. 

Die Erfahrungen sollen weiter ausholen und hinauszielen. 

Der Wurf darf scheitern und zu kurz geraten, die Ausholung aber eben nicht.

Selber denken versuchen, davon muss der Vorsatz handeln, den einen eigenen, originären Gedanken denken, jeden Tag, das wäre ein springender Punkt, wie er gemeint ist und sich selber meint.


Das Wiedergekäute kaum noch verdauen, die Rezitationen wie Sprechblasen im Raum stehen lassen und für jede Form von empfundener Leere selber verantwortlich sein.

Genauer hinschauen, hinhören, den Blick weiter stellen und immer wieder neu ausrichten, auf das, was nicht direkt sich offenbart und sichtbar wird.

Langeweile ist IMMER das Resultat von Abstumpfung.

Dass darin die eigentliche Anforderung besteht, die Tätigkeit betreffend, aber eben auch und zeitgleich die Unter-und die Überforderung.


Jeder Gedanke ein neuer Versuch, ein Entwurf, ein Sprung und eine Ertastung dessen, was auch sein kann, was sie auch sein können, was wir auch sein könnten.

Und den Gedanken und den Text und die Sprache dann einfach durchlaufen lassen, durchlässig sein, wie Wasser schreiben, wie der Fluss, darin ein-und untertauchen können, jederzeit.


Warum lässt es sich am besten, am bewegtesten und auch am komfortabelsten in Zuständen des Wartens und des nicht oder noch nicht Angekommenseins leben, getragen von einer noch abstrakten Sehnsüchtigkeit ? 

In diesen Zwischenräumen, die sich ständig bilden, die sich kurz öffnen und dann wieder direkt schließen, wenn sie identifiziert, benannt und eingenommen werden.

Schon wieder vorbei, jetzt, Raum erschlossen, Standpunkt durch Einnahme verändert, schon wieder sich selbst um einen Atemzug und einen Gedanken voraus gewesen, das Geschehen verfolgen und es nicht einholen, niemals genau jetzt und gegenwärtig sein, nach hinten oder nach vorne greifen und dabei und dadurch das Jetzt markieren.


Sowieso nicht souverän sein, im Denken, eher unsicher und die Sphären von Denkweisen neu vermessend, nach Souveränität nur streben wollen, sie niemals im direkten Denkvorgang erreichen.

Handeln darf und soll auch souverän sein, jede Meisterschaft verwirklicht sich in Souveränität, derer sich angenähert wurde und die irgendwann wild oszillierend ihren Mittelpunkt dort bildet, wo die Ausschläge nach beiden Enden ihren Anfang nehmen, wohin sie immer wieder zurückkehren, wo sich das Zentrum manifestieren will.

Und wenn das geschehen ist, müssen sich direkt neue Risse bilden, neue Anforderungen, die momentan erreichte Souveränität schlägt um und visiert sich selber wieder an.


Je größer die Unerprobtheit und die Grenz-Auslotung der eigenen Denkprozesse, je unschärfer die Skizzierung der Wirklichkeitsauffassung sich abzeichnet oder darstellt, umso höher die kreative Wahrscheinlichkeit und die Möglichkeit annähernd autonomer Produktions-und Konstruktionsprozesse, die dort überhaupt sich erst veranlassen, die angestoßen sind durch ein eher abtastendes denken und empfinden.


Und immer wieder ein-und vordringen wollen, in unbekannte und vielleicht auch unkomfortable, inhärente Wirklichkeit, in nicht völlig erschlossene Räume des Denkbaren, Sagbaren, Vorstellbaren.

Alles aushalten. Vor allem auch dies hier. Walten und geschehen lassen, später den Stress ertragen und bearbeiten, um Neues, nein, um Veränderung vorzufinden.


Allzu sichere und sich nach hoher Wahrscheinlichkeit und nach Kompatibilität ausrichtende Denkbewegungen können sich kaum verlaufen, büßen dadurch das Vage und das Unwägbare ein. 

Das Denken vollzieht und findet dann zu schnell, orientiert und bewegt sich zu sicher und zu routiniert, es widerfährt ihm nichts mehr und es wird selber nichts hinzufügen oder beitragen, dass es nicht bereits vorgefunden und beigetragen sah, oder lokalisiert und anvisiert hatte. 


Wirklich denken versuchen heisst auch ausholen, weit ausholen, sich verheben und verrenken, an der eigenen Desorientierung und Verlaufenheit.


Ironie ist biegsam und ausgerichtet.

Ironie verrenkt und verläuft sich nicht.


Da ist auch keine Trennung, keine Differenz.

Ich weiß, dass das so ist

Ich kann es nur nicht denken.


Das Sein soll permeabel sein, nach innen und nach außen.

Dazwischen nur der Hauch einer Membran.

Kaum, dass da ein Abstand, kaum dass es ein zwischen ist.


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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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