der standpunkt, von dem ich nach hinten verstehe und nach vorne lebe, ist unter meinen füßen begraben
OKTOBER 18/1 der standpunkt, von dem ich nach hinten verstehe und nach vorne lebe, ist unter meinen Füßen begraben
"...mit Gedanken so frei, wie eine Drehtür..." ( Wolfgang Müller )
Irgendwann, in zehn, vielleicht schon in zwei, womöglich erst in zwanzig Jahren, irgendwann jedenfalls, da will ich mich dann sagen hören...:
...ich hab da nicht mehr mitgemacht. Ich habe aufgehört, uns dabei zuzusehen, wie wir uns nebeneinander und aneinander vorbei individualisieren, direkt in die Isolation. Habe dem Drang und dem Zwang widerstanden, mich endlos weiter nur selbst zu optimieren, um mitzuhalten, reinzupassen, aufzufallen. Ich habe aufgehört damit, mich nur noch um mich selbst zu drehen, meine vermeintlichen Bedürfnisse zu füttern und somit nur den Bedarf zu unterfüttern, der ständig neu entstand. Ich bin direkt aufgestanden, vom Sofa, habe mir das Sitzfleisch massiert und die Augen gerieben, habe der Angst eins in die hässlich-grinsende Fresse gehaut und mir dabei richtig wehgetan, an beiden Enden. Dann hab ich kurz geflennt und mir etwas länger Leid getan, weil sich eine Schwere und eine Leere auf mich draufgesetzt hat, mit fettem Hintern direkt drauf, auf mich und meine Gewohnheiten. Völlig plattwalzen habe ich mich lassen, von diesem aporischen Gesäß, damit auch bloß nichts übrigbleibt, vom Habitat, vom Habituierten, damit der Hintern sich so richtig einsitzen konnte, auf all dem Eingesessenen, was mich so faul und träge machte, was mich nur noch von genau hier bis exakt daneben schauen und empfinden ließ. Ich habe geseufzt und gejammert, geklagt und mich beschwert, habe eingefordert und zurückgewiesen, und dabei jeden Satz mit ICH begonnen. Und als ich anfing, Gärung zu betreiben, sauer zu werden und mir eine Idee und zwei Sauerstoffmoleküle ermangelten, da begann mir das Erbrochene schon emporzusteigen, nur den Mund musste ich kurzöffnen, da kam es schon herausgespeit, in festem, dicken Strahl. Ging mir dann gleich besser, der Ekel schwoll noch weiter an, vor mir, vor uns, vor all dem, was ich vermieden hatte und was ich mir eingebildet hatte, zu sein und zu schaffen, und vor dem ach so großen Fisch, den ich gedachte mimen zu können, in meinem winzig kleinen Teich, den ich allein bewohnte. Dann bin ich einfach aufgestanden, habe meine dicke Wohlstandsbirne dreimal richtig gegen eine meiner fünf Wände gedroschen, dass es nur so krachknackerte, in meinen Gebälken, dass mir das Geweih vom Schädel flog und mir einen Kopfschmerz hinterließ, der mich da grad so richtig schön wach zu machen gedrohte und vermochte, weil der so arg war, der Kopfschmerz, viel ärger noch, als all die feinen Befindlichkeiten, die mein Befinden so fein beutelten, bis dahin. Da habe ich kurz Drogen nehmen wollen. Einfach immer weiter Drogen, dass der Kopfschmerz einen Gegner hatte, dass ich mich mal kurz entspannen würde können, in meiner neuen Pein. Aber Drogen sind ganz weit oben gelegen, auf dem Regal, dass da im möblierten Einzelzimmer herumzustehen hatte, und weiter unten, griffbereit und auf Augenhöhe, da lag die Verblendung und wartete darauf, dass ich sie mir zurückeroberte. Da bin ich dann einfach gegangen. Habe das Zimmer verlassen. Habe draußen gestanden, allein, und habe mich umgesehen. Da sind sie dann schon gekommen, die anderen.
Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest
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