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halt dich an meiner liebe fest, til schweiger

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februar 22#1 halt dich an meiner liebe fest, til schweiger


Gestern ein Ekelerlebnis der allerheftigsten Sorte, bin immer noch in einer Art Schockzustand. So hab ich mich zuletzt gefühlt, als ich vor 25 Jahren aus den Resten meines Passat stieg - nachdem sich dieser mit mir am Steuer achtmal überschlagen hatte:

„KLASSENTREFFEN 1.0“

Den weiteren Titel habe ich nicht mehr vollständig lesen können, da mein Gehirn nach Sichtung dieser fast zweistündigen Entgleisung nicht mehr in der Lage war, Sätze mit mehr als drei Worten aufzufassen oder zu verstehen. Irgendwas mit „Silberrücken“?

Ein Film von, mit, über und zu Ehren von: 

Til Schweiger, Chronist deutscher Gegenwart.

Es stimmt natürlich, nichts ist ausgelatschter und plattgewalzter, langweiliger und vorhersehbarer als ein schön gediegenes Schweiger-Bashing. 

Aber eine kontroverse Auffassung zu diesem Thema hat sich mir nach diesem Ereignis gestern auch nicht unbedingt aufgedrängt. 

Man will die Dinge, die einem Schaden zufügen, ausserdem ja mitteilen, loswerden, verarbeiten, irgendwie, auf dass diese sich an der Gesellschaft brechen können…


Mein Gedächtnis verschwimmt, mein Sensorium spielt mir Streiche, derart geschunden hat mich der Konsum der Schweigerschen Unterhaltungskost hinterlassen.

Ich kann mich nur noch erinnern, dass da irgendwann, auf dem Bildschirm, zwischen den Werbungen und unter den jeweiligen Werbungen, auf jeden Fall noch ausreichend erkenn-und vernehmbar, deutsche Darsteller auftauchten, die abwechselnd von ficken und von Kacke sprachen, indem sie abwechselnd Sätze formulierten, die die Worte ficken oder Kacke enthielten.

Auch voll lustig die Idee, Frau Schüttler in die Rosette von Herrn Finzi schauen zu lassen, um dann - völlig überraschenderweise von den Kindern dabei ertappt - den „After-Show Party“-Gag endlich mal anbringen zu können (ein proleptisch-gesteuerter Vorgang meiner Wahrnehmung und Vorstellung begann recht zügig, Sitcom-Lacher unter jeden Dialogfetzen zu mischen…), oder einen geschwollenen Hodensack zu zeigen, den man dann einreiben musste, um -

…jedenfalls schien mir die permanente und anprollende Untermalung mit GEMA-freiem Eurotrash, nach kurzer Gewöhnungszeit, völlig einleuchtend.


Interessant war, dass ich das bald nur noch zur Kenntnis nahm, über mich ergehen ließ, mit offenem Munde, irgendwie schon auch staunend und fassungslos, aber halt derart, wie man eventuell dabei zusieht und staunt, wenn einem auf das Haupt uriniert wird, somehow willenlos, mit dem Hauch einer Unmutsbekundung noch im Mundwinkel…

Ab und zu sah ich rüber zur J, aber die schaute auch schon so sediert drein, da waren Koalitionen nur noch über geteilte Kapitulationsvorgänge möglich. 


Denken als Solches, als Maßnahme der Befreiung und Behauptung, als Statement gar, das aussagen sollte „Ich nicht“, so Joachim Fest-mäßig, als nachgereichte Bekundung des Dagegengewesenseins, zumindest, funktionierte nicht mehr, nicht wie gewohnt - also anders als unter Bonobos üblich. 

Das war auch nicht mehr gefragt, war eher schon hinderlich und wirkte sich irgendwie nachteilig aus, unterbrach dieses untertönige, niederfrequente Summen oder Brummen im Schädel, es schien plötzlich alles so einfach, so schlicht, man wollte eigentlich nur noch Red Bull trinken, Nüsse naschen und der eigenen Peristaltik folgen, dauerhaft.

Ich erinnere noch, wie ich erneut mit einem halbempörten „Äh - …“ ansetzte und die J damit um eine Art intellektuelle Rettungsboje ersuchte oder bald anflehte, die war aber schon nicht mehr ansprechbar, hatte schlauerweise in den Modus eines panikhaften Sofortschlafes gewechselt. Was ihr rückblickend natürlich mir gegenüber einen Vorteil verschafft, es gibt da weniger zu verarbeiten.

Dass Dummheit tatsächlich ansteckend ist, das wusste ich aus Erfahrung, ich hatte schließlich zwei Jahre Promotion für den Bertelsmann Buch-Club gemacht und ausserdem mehrfach Kontakt mit der niedersächsischen Landesschulbehörde, die Existenz eines Nullniveaus allerdings, die hätte ich bislang und gestern stets zuversichtlich bestritten. Aber es ist eigentlich nur logisch, man bildet permanent Schnittmengen, die Identität betreffend, vereinbart Realitäten, auch das Niveau des eigenen Denkens ist biegsam und flexibel. 

Man denkt ja -beispielsweise - auch nicht viel, wenn man beim sonntäglichen Familien-Flanier wiederholt in einen Hundehaufen tritt, außer vielleicht die Sätze „OH NEIN! Nicht schon wieder! Das hat man vom verschissenen  Spazierengehen! Diese Scheiss-Tölen, die von ihren völlig verblödeten Besitzern vermenschlicht werden, warum können die nicht für das große Geschäft ein öffentliches WC benutzen, wenn sie schon Pullover tragen und zu Tische speisen…?!?“ 


Ich frage mich allerdings ( man muss viel häufiger und auch nachdrücklicher„allerdings“ sagen, in eigentlich allen denkbaren Zusammenhängen…), was jemand intendieren und überhaupt im Kopf haben muss, auch und nicht zuletzt substantiell, so konkret beim Vorgang des Drehbuchschreibens, wenn er eine Szene entwirft, in der die Tochter ( von Schweiger ) des Hauptdarstellers ( Schweiger ) auf der Rückbank eines Wagens ihr Eis vor ihren Schoß verschüttet, woraufhin dann der Fahrer mit einem Handstaubsauger zwischen ihren kurzberockten Beinen rumfuchtelt und saugt. 

Da denkt man als verursachender Autor unter Umständen Sachen wie „Geil, das ist echt voll pervers und witzig, so voll mit dem Ding zwischen die Beine, so voll saug! saug! oder blas! blas! voll die pimmelmetaffer, echt mal jetzt!“

…aber dass man dann auch automatisch und unmittelbar, wenn man schon derart präpotent, pipikackamäßig und grenzdebil vor sich hinschreibt, fast zwangsläufig auf den Gedanken kommen MUSS, dass sich für diese Rolle am besten und ehesten die eigene Tochter eignet, das hatte ich bislang, allerdings, noch nicht begriffen. 

Jetzt wird mir aber die Folgerichtigkeit dessen und letztlich auch die Konsequenz klar, die sich aus der Nutzung eines archaischen Steinzeitbewusstseins ja kausal ergibt, von diesem bereitgestellt ist und es ausserdem inhaltlich auszeichnet, allerdings.(tschuldigung, war das letzte Mal)


Das Überschreiten von irgendwie noch akzeptablen oder auch nur auszuhaltenden, moralischen Grenzbereichen und vereinbarten Ethikauffassungen (solche gesellschaftlichen hidden contracts eben, die es ja auch gibt und anhand und entlang derer wir uns herantasten, an individuelle und kollektive Grauzonen des Umgangs und Geschmacks), dieses Überschreiten und Verfehlen also wäre demnach eine logische Verwahrlosungsfolge des Aufeinandertreffens von limitierten Denk-und Emphasepotentialen des herkömmlichen Idioten, mit (und in) einer von Hybris und Applaus völlig zerschossenen Promi-Existenz, oder?


Nun befällt mich aber diese Schmierigkeit, nach Verwendung solcher Begriffe und Kategorien wie Ethik, Moral, Tugend - unangenehmst befallen von solchen Kirchentagsempfindungen, muss ich direkt an Ulrich Wickert

denken, keine Ahnung warum, jedenfalls auch nicht gerade wohltuend, sich diesen Wickertschen Gesichtsausdruck selber ins eigene Antlitz zu meißeln, diese Betroffenheit, Pikiertheit und süffisante Überlegenheit, die aus absoluter Rechtschaffenheit rührt, in allen Lebensfragen.

Ich war schon kurz davor, mahnend den Zeigefinger zu heben. 

Ist doch kolossal, was Sprache macht und anrichten kann, das muss doch auch dem Drehbuchautor Schweiger nicht verborgen bleiben? Viellicht ja doch? Immer wieder läuft es darauf hinaus, zumindest und letztendlich bei der Verteidigung des eigenen, völlig entgleisten Handelns, Schaffens und Wirkens: war man jetzt nur dumm, oder hat man vorsätzlich und wider Wissen diesen Haufen da hingesetzt, der Öffentlichkeit sozusagen mit voller Absicht eine bedrohliche Blähung mit Abgang in den besetzten Fahrstuhl gestellt?.


Jetzt stelle ich mir vor, wie er -der Autor Schweiger, denn das SCHREIBEN solcher Dinge halte ich für geradezu kolossal sich selbst genügend - da sitzt und sich wiederholt prustend auf die Schenkel klopft, während er sich und den anderen, ihn direkt und indirekt beleuchtenden Statisten, diese Sätze und Dialoge zuweist. Und mir erscheint dann stets nur eine Möglichkeit plausibel: Das kann nur unter großen Mengen von Alkohol, Speed und Kokain durchführbar sein. 

Nicht zwingend in dieser Reihenfolge.

Dann denke ich aber wieder, dass der Schweiger´sche Weltzugang nicht mehr solcher Substanzen und deren Enthemmungs-und Verblödungseffekte bedarf, dass ihm dieser für sein Schreiben, Spielen und Regieren, äh, Regie führen, unverzichtbare Debilismus schon zum zweiten oder sogar ersten Gesicht geworden ist, mit einer für ihn natürlich wohltuenden Vehemenz und Vollumfänglichkeit, die jeden Zweifel, jedes Hinterfragen und jeden Hintersinn schonmal direkt cerebral zu entwurzeln imstande ist…


Eine letzte Frage bleibt aber noch offen, konnte weder von mir beantwortet, noch wissenschaftlich hergeleitet werden, ergab meine Recherche:

Welcher Intention folgt die vom Autor Schweiger vorgenommene und vom Regisseur Schweiger umgesetzte Anweisung, der Hauptdarsteller Schweiger dürfe KEINESFALLS, in keiner Szene, Situation oder Sequenz, sich seines frechen Hutes entledigen…?

Nicht im Auto, nicht beim Essen, nicht zu Bette, auch nicht in der Disco, nicht beim Liebesakt und schonmal überhaupt garnicht und aufkeinenfall im DAMPFBAD!

Der Hauptdarsteller Schweiger darf, soll und muss selbstverständlich sein entblößtes und trainiertes Hinterteil zeigen dürfen und müssen, der HUT BLEIBT ABER AUF, KLAR? BASTA.


Ich konnte diesem Gefühl von Scham, Beschmutzung und mit Kot beworfen-sein, nur durch massive Anti-Tendenzen begegnen, durch einen aktiv und komplett vollzogenen Twist von 180 Grad, durch Hinwendung zu Phänomenen, die für mich konträr angeordnet sind, von mir absolut gegenteilig konnotiert werden : Nein, nicht DENKEN.

Ich dachte aber tatsächlich, ernsthaft und aus mich wiederbelebenden Affekten und Agitationen daran, wie wichtig es ist, zu lieben.

Immer wieder diesen Vorgang zu aktivieren, sich daran festzuhalten und aufzurichten.

Das wurde mir dann klar: am vitalsten erfährt man das Dasein als zugewandt - nein, falsch, bloße Zugewandtheit macht dann doch eher blöd - als Liebender, wollte ich sagen, und auch meinen.


Dieses ewige Lamento, die Beschwerde, das Dagegen und Scheissefinden von Allem, das funktioniert auch nur, wenn es da einen Ort gibt, den man auch betreten kann, der diese Empfindungsaufladungen bereitstellt, die einen in absoluter und entfalteter Gegenwart wirklich lieben lassen-zuallerletzt natürlich auch aus Gründen der Selbsterhaltung-und Verteidigung.

Hört sich banal und dumm an, ist deshalb aber nicht weniger wahr und real, und ausserdem demjenigen egal, der das erfährt.

Geliebtwerden ist toll, lässt wachsen und uns einverstandensein, mit all den vorher abgelehnten Entwürfen, die das Selbst als ICH-Versuche skizziert hat.

Das ist aber lediglich Annahme, loslassen, Einverständnis, wie gesagt.

Die wirkliche Aufladung des Seins, in Form von einsetzender, sich entfaltender Gegenwart und momentan empfundener Gegenwärtigkeit, findet im Vorgang des Liebens statt.

Es ist mir wirklich egal, und muss es auch sein, wie andere und wie vor allem ich dies später lese und bewerte, welchen Stress das wieder erzeugt, bei der Rezeption.

Stimmt auch nicht, kann mir nicht egal sein, hörte sich aber gut an.


Es geht dabei nicht um Quark wie Verschmelzung, Symbiose, oder diesen Topf-und Deckel-Kram.

Das Bemühen um Freischaltung der für den Vorgang des Liebens zuständigen Denk-, Fühl- und Empfindungsabläufe, stellt als Solches schon eine gelingende Intentionalität dar und her. Es handelt sich dabei auch um Formen von Abwesenheit, von allem, was sonst hindert, begrenzt, abstumpft und verdrängt.

Das geschieht ja prinzipiell jeden Augenblick, die tatsächlich und momentan vollzogene Liebesrealisierung, die hält man auch nur kurz aus, situativ, in einzelnen Momenten und Begegnungen. Der Wahrnehmungsvollzug dieses Geschehens ist dann jedesmal wieder eine Prüfung und Tollheit, eine Art Ritt, den man stehen können muss, den man aushalten und der gelingen muss.

Aber auch bereits die Ausrichtung auf das Bemühen, die Setzung per Intention, hebt ja wiederum und führt zu einem Umschlagen von Emotion, Sinnlichkeit und kognitiven Vorgängen - als würden wir uns plötzlich an etwas erinnern, das wir sonst vergessen und worin wir reichlich ungeübt sind.

Es ist aber letztlich und wahrscheinlich das Vorhandensein und die Möglichkeit der Einnahme einer solchen Seinsauffassung und deren Installierung, was uns überhaupt ermöglicht, andere Positionen zu beziehen, eben zu schimpfen, abzulehnen, scheisse zu finden, ohne vollumfänglich das zu sein, was schimpft, ablehnt, scheisse findet. Weil es dann eben Positionen sind, die vom Ich eingenommen und konstruiert werden, weil es ja auch mal durchschnaufen und atmen muss.

Von dort muss aber zurückgekehrt werden können. 


Es geschieht zu häufig, dass ich denke, da ist schon wieder die Gelegenheit verpasst worden. Dein Kind blickt dich an, du schaust hin, du siehst es aber nicht, entscheidest dich wieder nicht aktiv dafür, jetzt, in genau dieser Situation, zu lieben, zurückzulieben, in diesem Fall. Später dann bestenfalls die einsetzende Trauer und Scham, ob der eigenen Stumpfheit, die mich wieder in diesem Augenblick daran hinderte, undsoweiter - jemand kommt oder ist mir nahe, genau jetzt könnte ich auch…aber ich treffe diese Entscheidung nicht, weiß zwar, dass ich liebe, vollziehe dieses Wissen aber in der Gegenwart zu selten. Vielleicht ist es auch eher genau das, Vergegenwärtigung nämlich, was dann und somit geschieht, die An-Wesen-heit, das Gelingen von Begegnung und Simultanität, und die dadurch einsetzende, situative  Aufladung des Raumes von Nebeneinander in Miteinander, der Zeit von Nacheinander in Jetzt. 

Ja, vielleicht.


So, geht schon besser jetzt. 

Eat this, Til Schweiger!





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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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