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ambiguität und der losgelöste geist

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JUNI 18/6 ambiguität und der losgelöste Geist

Bezugnehmend auf HIRSCHHAUSEN UND DAS STAATSKABARETT(JUNI 18/4): Zuviel und zu häufig über andere Menschen denken und reden, schimpfend und schreibend auf sie einspucken, von oben herunter, dass der Speichel ihnen aus den Gesichtern tropft, das ist auf Dauer ungesund. Nun, so will ich über etwas vollkommen anderes sprechen, über den Versuch, von sich selbst zu berichten, ohne wirklich ICH zu sagen.

Sprechen wir jemals von etwas anderem, als von uns? Noch die vermeintlich sachbezogenste, wissenschaftliche oder philosophische Auseinandersetzung mit Theorien anderer, findet in uns statt, durchläuft die Filter unserer Erfahrungen, unserer Wahrnehmung, unseres Erlebens. Der Ort, an dem und von dem ausgehend wir uns den Dingen widmen, ist unsere eigene Lebenswelt. Eine Seite über Bourdieu, ein paar Zeilen über Strukturontologie, eine Arbeit über Pragmatizismus oder Peirce - was wir wirklich aussagen, mitteilen und ggf. publik machen, sind die Arten und die Weisen, wie wir uns den Stoffen nähern und wie wir sie uns zu Eigen ( zu unseren EIGENEN ) machen. Das Sekundärphänomen einer primären Stoffaneignung besteht darin, wie wir uns anhand und mit der jeweiligen Thematik verändern, indem wir uns von deren Ideen durchweben lassen. Es existiert kein starres, unbewegliches und unveränderliches Wissen, welches als Solches und für sich auf irgendeine Weise ein absolutes Dasein fristete, dessen Inhalte in einer feststehenden Form nur noch zu konsumieren wären. Alles ist roh, wartet auf Bearbeitung, biegt sich nach links, taumelt nach rechts, nimmt Formen und Gestalten an, die der Rezipient ent-und verwirft und anhand derer der Rezipient entworfen ist und wird. Alles entsteht im und für den Moment der Auseinandersetzung, entwickelt sich fort im Dialog, der sich den Sachverhalten und den Ideen widmet, das Kauen auf der Theorie verändert deren Beschaffenheit, das Gebiss des Kauenden nimmt andere Gestalt an. Und die Sätze und die Aussagen, die wir mit dem Wort ICH beginnen oder einleiten, verweisen am allerwenigsten auf uns selbst. Dazu morgen mehr.

Weiter im Text: Wenn mich aber die Abscheu und der Ekel vor Subjekten, die mit mir nicht identisch zu sein scheinen, auf eine Art verärgern und zornig machen, dass ich in Bewegung gerate und sich die Worte und die Begriffe nur so aus dem dampfenden Hirn in das große Maul verirren und begeben, um von dort kübelartig sich auszugießen auf das Papier oder den Monitor, wenn mich die misanthropischen Affekte also ZUR SPRACHE BRINGEN, wo man ja irgendwann und völlig egal wie auch mal hin will und soll und mindestens wollen sollte, dann -

Ich bin kein losgelöster Geist, mein Bewusstsein ist nicht das Souverän, welches aus vermeintlich übergeordneter Positionierung auf die nackte Sinnlichkeit blickte oder dieser gar Struktur und Begriff verliehe. Noch bin ich ein im Sehen bereits wissendes Auge, welches im Wahrnehmungsakt Genese betriebe und die nur an sich und für mich bestehenden Objekte "schaute". Es ist eine Form von Zwischenraum, der uns da abhanden kommt, wenn wir meinen, wir könnten rein empirisch, unter Ausschluss unserer Selbst, oder aber als die reine Sinnlichkeit, selbstbezirzt idealistisch, eine Ordnung in den oder in unseren Welt-Vorgang bringen. Und der Zwischenraum ist das Zur-Welt sein, und die Welt ist der Horizont, und innerhalb dieses Horizontes treten wir in Austausch und kommunizieren, indem wir wahrnehmen und das Wahrgenommene anhand unserer Horizonte verhandeln - so kann aus individuellen Wirklichkeiten Wahrheit entstehen, die intersubjektiv gilt und geltend macht, auch indem deren Bedeutung immer wieder und immer neu überprüft wird, bezogen auf die Handlungen, die diese Prüfungen inspirieren.

Kann es überhaupt und per Definition eine Art primärer Welt-Begegnung geben? Und wenn, ist diese dann nicht sinnlich aufgebaut, auch und gerade wenn wir meinen, wir könnten uns durch kritisches Denken, durch Fähigkeiten zu Vernunft und Reflexivität, über die sinnlichen Wahrnehmungen erheben, nur weil wir das Denken im Gehirn verorten und dieses Hirn eventuell nur ganz zufällig da ganz weit oben thront, auf dem Rest des wahrnehmenden Menschkörpers? ( Und wäre das anders, wenn das Hirn unterhalb der Patella läge, und obendrauf, unter der Schädeldecke, der Magen, würden wir diesen dann inthronisieren und überordnen, wäre die vermeintlich letzte Instanz dann nicht der Gedanke, sondern der Bauchschmerz, hätte das Aufstoßen das letzte, rülpsende Wort und die diversen Blümeranzen entscheidend mitzureden? )

Wahrnehmung scheint keine "Eigenschaft" zu sein, die auf irgendeine Art zu isolieren wäre, die man betrachtenderweise verorten oder zuordnen könnte, über die der Mensch verfügt oder verfügen kann, wie über denken, fühlen, handeln oder sprechen. Es gibt keine Wahrnehmung ohne Wirklichkeit, die Frage bleibt, ob es eine Wirklichkeit ohne Wahrnehmung geben kann. Diese Fragestellung verortet den Fragesteller noch nicht in Bereiche des radikal Konstruktivistischen, es wird auch kein Anspruch erhoben darauf, dass sich ohne unser Zutun eventuell "nichts regen" könnte. Ich bin nicht Schöpfer und Erschaffer einer Welt, in der ich Wirklichkeit wahrnehmend produziere oder generiere, ich bin aber auch kein fertiger Wahrnehmungsapparat, der auf eine ebenso fertige und wirkliche Welt blickt.

Auch dem Umstand Rechnung tragend, dass dies nicht abschließend zu klären oder in irgendeine Richtung zu belegen sein wird, bleibt der zu betretende - weil betretbare - Raum, besonders innerhalb der Hygiagogik und deren nicht-paradigmatischen Zugang, der ikonographische und phänomenologische. Wir können keinen messbaren Gegenstand isolieren und das Isolierte dann analysieren, weil der Gegenstand das Phänomen Mensch ist. Was aber möglich und fürhin sinnvoll erscheint, ist, das Verhalten innerhalb der Wahrnehmung und die Wahrnehmungen im Verhaltensraum - der Wirklichkeit - verstehen zu wollen, indem die Sachverhalte zunächst als Solche angenommen und destilliert, die Tatsachen und Situiertheiten des jeweilig Wahrnehmenden kommuniziert, also dem Bewusstsein vorgeführt, werden, und von innen und außen die Arten und die Weisen, wie sich im wahrnehmenden Verhalten eingerichtet wurde, zu beschreiben.

Da aber jede Reflexion, so sehr sie sich auch kognitiv abstrahieren und auf Denken reduzieren lässt oder zu lassen scheint, mindestens bezogen ist auf sinnliches und emotionales Erfahren, gebunden an ein leibliches und strukturelles Gefüge, kann der Zugang einer am Menschen orientierten Gesundheitsentwicklung sich nicht auf nur eine Modalität reduzieren, weder auf eine gesprächsführende, noch auf eine körperorientierte, da sie ihrem Gegenstand ( Mensch in Welt ) in seiner Komplexität nicht gerecht würde.

Wir sind doch sehr selten nur in der Lage, die Regeln, die wir spontan befolgen, zu kennen oder zu formulieren. Und es ist vielleicht manchmal von Vorteil, wenn auch nur rückblickend, diese von uns befolgten Regeln und Intentionen als Solche zu identifizieren, den eigenen ( intentionalen ) Handlungen die ihr zugrundeliegenden Absichten zuzuordnen, damit wir eine Ahnung davon bekommen, warum wir eigentlich gerade auf dem Weg von A nach B sind, warum wir uns erst gar nicht dazu durchringen konnten, uns auf den Weg zu machen, oder warum wir da überhaupt und von Vornherein schonmal gar keinen solchen Weg erkennen konnten. Dazu wiederum Dettmar Degenhardt : "Ich kann dir nicht sagen, wie ich handeln werde und aus welchen Beweg-gründen ich mich in irgendeiner Form in irgendeine Richtung bewegen werde. Aber ich kann eventuell Zeugnis darüber ablegen, warum ich derart gehandelt und mich bewegt haben werde." ( Festtagsrede zur Eröffnung der Rodenkirchener Schrebergartenvereinssitzung, 1972, zu Ehren des neu gegründeten Kaninchenzüchterverbandes "FUTUR 2" )

Oder aber, frei nach Merleau-Ponty: Wenn es darum geht, die Bedeutung der Wahrnehmung zu ent-decken, so muss ein Blickwinkel vollzogen werden, der von philosophischen Paradigmen absieht. Die oben ja im Kern gemeinte und beschriebene, immer wieder auch herangezogene "Ambiguität" des Seins und des Menschsein-Müssens, um die es in diesem Sinne eben auch geht, gilt es also weder ignorant umgehen zu wollen, noch einem sich an der Oberfläche sonnenden, mystifizierenden "Integral-Anspruch" aufzusitzen ( "Verschmelzung von Körper und Seele", siehe sinngemäß Belschner, dem dies widerfahren ist, ohne dass er Notiz davon hätte nehmen können ), sondern aus einer Kenntnisnahme und unter Einbeziehung einer wesen-tlichen Ambiguität heraus, die jeweiligen konkreten Vollzüge im Einzelfall zu beschreiben, zu erkunden, zu erkennen.

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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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