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idiot bin (ACHT TAGE IM DEZEMBER)

Blog Single

Dezember 22/1 # idiot bin (ACHT TAGE IM DEZEMBER)


10.12.22

Immer wieder „Zeitenwende“…

Was soll das heißen, ist das ein Versuch, Geschichte zu schreiben oder zu erzählen und einzuordnen, während sie sich schreibt? 

Von Jetzt vorzugreifen auf irgendwann, in dem das Jetzt ein gestern sein wird, gewesen sein wird?

Das schwer Verdauliche daran ist der Verweis, darauf, dass scheinbar und bislang von KONSTANZ ausgegangen wurde.

Dass da kein Wandel war, keine Veränderung, kein Werden und Vergehen. Das kommt mir so absurd vor.


Das ist aber vielleicht das Aller-Menschlichste: 

die Fragilität der Geschichten, die wir uns erzählen und gegenseitig glauben, in jedem Augenblick, die umso zerbrechlicher sind, je kleiner das Auditorium wird, das bereit und gewillt und imstande ist, dem zu folgen und uns das zu bestätigen und abzunehmen, uns die eigenen Erzählungen abzukaufen, die wir von uns selbst, unserem Erleben und unseren Wirklichkeiten kundtun.


Sich in jeder Situation neu einrichten, in Vertrautem, in Wiedererkennung, in Teilbarkeit, in Linearität, darin halt, dass morgen auf heute und heute auf gestern aufbaut, sich etwas fortschreibt, was mit bereits Erfahrenem deckungsgleich ist, mich nicht bei jedem Augenaufschlag von vorne, bei Null beginnen lässt.

Ein Narrativ, eben. Eine Art Erzählung, der wir folgen können, die uns beinhaltet und etwas wiedergibt, das wir kennen und dem wir folgen können. Anhand und in dessen Kulissen und Erzählsträngen wir uns selber erzählt , situiert und konstituiert sehen, hören, finden.


All jenes, was bei der Deprivation abhanden kommt, sich in der Isolation verflüchtigt, was wesentlich ist für die Verlorenheit von instabiler Assoziativität und von Persönlichkeitsstörungen. Dass da ein Erkennen fehlt. Eine Möglichkeit, sich einzurichten, in der eigenen Wahrnehmung, in den äußeren und inneren Grenzen der je eigenen Wirklichkeit und in Aufbau und Ton der Erzählung, die sich von und durch und mit uns schreibt und der wir gleichzeitig lauschen, während wir sie weiterspinnen und an ihr weiterererzählen, ohne Script und ohne Plan.

Wie die Körper, die wir ebenso durch das Sein bewegen, wie wir von diesen dadurch hindurch befördert und getragen  sind.

Und das einzig tatsächlich Authentische, das uns gegeben ist und das wir beitragen können, ist die Empfindung in Moment und Situation, das, was wir über unser denken und fühlen denken und fühlen, während wir das tun.

Die zweite Ordnung, die zur ersten wird, wenn wir sie als zweite identifizieren.


 

11.12.22

Wenn „die Politik“ den Bürger ja einfach mal nicht mehr als Konsumenten ansprechen täte, sondern als partizipierenden und betroffenen Ko-Akteur, in dessen Interessen die gegenwärtigen Prozesse moderiert werden, ausgerichtet auf Langfristigkeit und auf Ko-Existenz?

Ist der Gedanke romantisch, oder schon naiv?


Bleibt sich zu vereinbaren, darauf, was nicht anzuzweifeln ist.

Zugunsten einer breiten, zustimmenden und eingefordert ko-agierenden Masse - im Dialog und schon bei der Vereinbarung von Realitäten - auf alles zu verzichten, 

was definitiv nicht konsensfähig, was definitorisch nicht einwandbefreit und was nicht umfassend benefitär im Hinblick auf ein zukünftig nicht destruktives Anthropozän wäre,

und dann und daraufhin:

die größte aller Schnittmengen zu finden.

Das, was wirklich und tatsächlich(im Sinne subjektiver, aber objektivierbarer Tatsachen) ALLE be-trifft, an-geht, interessieren MUSS.

Worin besteht der Rest an objektivierbarer Realität, die wir vereinbaren und teilen?


Alle noch zu formulierenden und auszusprechenden Aussagen und Gedanken, denen ein ICH BIN zugrundeliegt, die darauf verweisen oder abzielen oder hinauslaufen, durch ein WIR WERDEN ersetzen?


Wenn „etwas“, oder ansatzweise „die Welt“, verändert wird oder werden soll, und wenn auch nur, weil da ein MÜSSEN nicht mehr verdrängbar oder zu übersehen ist, dann nährt sich das betreffende, kollektive und allseitig benötigte Vermögen davon, dass Individuen intendieren und Umgang damit finden, sich selbst zu verändern, oder, ganz am Anfang und am Ende:

an der eigenen Idiotie zu arbeiten.



12.12.22

Problematisch ist, dass es kaum noch Entsprechung und Übereinkunft gibt, zwischen der immer weiter wachsenden Zahl der alten oder immer älter(aber nicht gesünder) werdenden Leute - die für sich auch immer noch und immer drastischer Machtansprüche erheben, durch dauerhaft reklamierte Deutungshoheit - zwischen deren Lebenswelten und Vermittlungskanälen also, und einer zwar zahlenmäßig unterlegenen, aber zukünftig umso mehr betroffenen Menge an jüngeren Menschen, die sich weder verstanden oder gehört fühlen, noch den Eindruck haben, überhaupt irgendwie annähernd beteiligt zu sein, an den (Gestaltungs-und Erzähl-)Prozessen, an den Entscheidungen und Realitätsvereinbarungen.

Das macht wütend, erzeugt Frustration, hinterlässt entweder Ohnmachtsgefühle, und/oder in Einzelfällen den absoluten Drang zum Aufbegehren, zu zivilem Ungehorsam, vielleicht auch dazu, dem identifizierten Aggressor irgendwie wehzutun, zu schaden.


Die immer gleiche Kaskade aus Angst-Aggression-Gewalt ist längst schon in Gang gesetzt - und wir, die alten Säcke, die den ganzen systematisierten Müll hier nur so eben noch verwalten, den wir denen hinterlassen werden, wir reagieren darauf auf die schlimmste aller Arten und Weisen: 

zunächst mit gespieltem und wohlwollendem Pseudo-(Ein-) Verständnis, der denen auch noch die Luft abscnnürt und sie lächerlich macht, ihnen den Gestaltungs-und Rebellionsraum nimmt. 

Dann aber, sobald es über die noch recht bequeme und entspannt zu beobachtende(„Schau, Helmut, die jungen Wilden, die regen sich auf, ich kann die ja verstehen, wenn ich nochmal jung wäre…ich würde mich an ein Bild von Neo Rauch kleben, mit Erbsensuppe!…“), angedeutete Widerstands-Symbolik hinausgeht und uns tatsächlich den Spiegel vorhält und unsere Komfortzonen bedroht: 

mit den harten Händen des medialen Rufmords, der öffentlichen Meinungs-Hinrichtung, der Auslieferung an den immer schon zum Lynchen bereiten Mob.



13.12.22

Wenn sich die eigene Erzählung durch ein wachsendes Publikum immer weiter stabilisiert, verfestigt, läuft man auch Gefahr, in eine Art narrative Starre der eigenen Inszenierung zu verfallen - und das auch proportional dazu immer weniger zu registrieren.

Das selber entworfene Bild und die Zurückwerfung durch die Anderen als zwei Kreise, die zu einer Schnittmenge verschmelzen, sich fast komplett decken und gerade deshalb so fragil und anfällig sind für Dissonanz, Rauschen und Störgeräusche, da der manchmal entscheidende Schritt in die Distanz und in die Aussenperspektive kaum noch vorstellbar und durchzuführen ist.


…Dachte ich eben, als mich dieses mir persönlich bekannte Paar mit deren Übermimetisierung auf den sozialen Medien konfrontierte.

Es ist eine bald schon bipolare Art schizoider Selbsterzählung, die da sehr gekonnt inszeniert wird. 

Die Bilder sind perfekt ausgeleuchtet und gefiltert, das Bildmaterial wohlüberlegt sondiert, bis zur Körpersprache und zum Stand der Sonne ist das kleinste Detail in ein übergeordnetes Script des SO-SEIN-WOLLENS und des SO-GESEHEN-WERDEN-MÜSSENS gepresst, mit dem vorgegebenen Ziel einer Übereinstimmung von Selbst-und Fremdwahrnehmung.



14.12.22

Nochmal zu gestern:

Es wächst mit steigender Followerzahl ebenso die Verantwortlichkeit des Influencers, wie dieser sich gleichzeitig mit einer irgendwie proportional ansteigenden Fürsorge-Veranlassung auseinanderzusetzen hätte.

Dann könnte nämlich gelten, das nach außen immer mitschwingende, mehr oder weniger sichtbar werdende Strebevermögen, ethisch anzureichern, auf Sinnhaftigkeit auszurichten, einen mutuellen Benefit betreffend.

Wofür denn sonst?


Es geschieht erfahrungsgemäß eher das Gegenteil:

Große Mengen Geld, Macht, Einfluss, Eigentum, führen sukzessive zu einer Verblödung, der man nur aktiv entgegensteuernd begegnen kann.

Der Reiche wird geizig, der Mächtige und Einflussreiche isoliert sich und begrenzt seinen Aktionsradius auf die privaten Quadratmeter, der von Millionen „Gefolgte“(sagt man das so?) wird paranoid und geht in die introversive Abschottung nach außen, wird seicht, oberflächlich und, ja, leider auch: flach und dumm, wenn er es noch nicht gewesen ist.


Es gibt eine Menge (junger) Menschen, die euch folgen und zuhören, die euch ernst und wichtig nehmen? 

Dann sagt Ihnen auch etwas…

Es ist insofern kein Nachteil, wenn ihr etwas zu melden und mitzuteilen habt, was über körperliche und ästhetische  Selbstoptimierung, persönlichen Erfolg und steigende Beliebtheit hinausgeht. 

Aber auch diese Gedanken sind, oder bleiben einstweilen und bis auf Weiteres: flach und dumm.



15.12.22

Neid ist die fehlende Bereitschaft, jemandem Anerkennung zuzusprechen. Ist das so?

Na gut, um gegen diesen Verdacht nach innen anzuschreiben:

Über all jene, denen Hunderttausende folgen, die aber nicht zufällig auch Jesus sind:

Das Vermögen, die Leistung, die Insel-Kompetenz, bestehen in der Überzeugtheit und der darauf aufbauenden Souveränität, mit der sich gemeinsam auf diesem Spielfeld (social media) bewegt wird.

Dessen Spielregeln folgen einem gescripteten Regelwerk, welches man mittlerweile selber entwirft, konzipiert und immer wieder neu modifiziert - wie ein Weg, der dadurch entsteht, dass man Fliese für Fliese sich selber vor die Füße  legt und diese dann unmittelbar betritt.

Dann greift man wieder hinter sich, zur eben verlassenen Fliese, und setzt den Vorgang fort.


Die Story, die sich mittlerweile (wie von) selbst fortschreibt, ist gerade noch ausreichend glaubwürdig und erscheint dabei nach aussen maximal sexy und begehrenswert. Das Narrativ darf tieferen Sinn entbehren, es bleibt alles aus, was einer unbegrenzten Akkumulation von Selbstoptimierung, Erfolg und Anerkennung nicht zuträglich wäre - u.a. nicht-egozentrisierte Intentionen und gesellschaftlich bedeutsames Handeln ( wem nützt das alles eigentlich, außer euch?).


Die mit jedem Aufruf und jeder medialen Entsprechungsresonanz sich mehrende Zweifelsreduzierung, an der eigenen Sache, an sich und dem Ko-Akteur, an der aufeinander ausgerichteten Intersubjektivität(wie zwei Kameras, die sich gegenseitig ins Visier nehmen), an der vereinbarten Realität und der fundamentalen und völlig simplen Wirklichkeitsauffassung („wir sind schön und erfolgreich - ihr könnt das auch!“), nährt intern eine Überzeugtheit, die auf direktestem Wege verinnerlicht und externalisiert wird:

Wir glauben uns selber, was wir uns und euch erzählen, wir sind überzeugt und überzeugend, bekehrt und bekehrend, begeistert und begeisternd.


Dabei wird dann alles, was nur im Ansatz das sich verselbständigende Setting, die bis kurz vor dem Platzen aufgeblasene Selbstkonzeption und die auf Weglassung gebaute, insofern in Tiefe und Breite instabile und nach oben offene, narrative Identität infragestellen könnte, völlig richtigerweise als bedrohlich und nicht nützlich eingestuft.


Brücken, die nicht nach vorne oder nach oben weisen, müssen gesprengt oder übersehen sein, alle Querverweise in die eigene Geschichte, alle emotionalen Irritationen und letzlich jeder Akteur, der nicht selbstverständlich auf dem bereitgestellten Spielfeld agiert, der die eingenommene Rollenannahme nicht zu bedienen weiß, wirken sich dissonant und destabilisierend auf die (Selbst-)Behauptung aus.

So ein Werde-Gang kann nur im Verzicht auf Schwäche, Tiefe, Aufrichtigkeit, Reflexion und am Ende gar Vergangenheit und Zukunft angetreten und in hinreichender Gegenwärtigkeit vollzogen sein, immer jetzt, immer hier, immer (nur und ausschließlich:) wir.


Was prinzipiell und permanent lauert und jederzeit bereit ist, den Traum und die Träumenden anzuspringen, ist Erwachen.

Jede nicht-neurotische Reflexion pegelt die hintergründigen Störgeräusche etwas höher und vermag dieses Rauschen zu installieren, das Irritation erzeugt und sich dort konstituiert, wo die maximale Verdrängung nicht oder nicht mehr gegeben ist.

Es werden Schatten sichtbar, dort, wo der Blick auf das fällt, was sich im grellen Licht bricht und sich dahinter an den Wänden der eigenen Höhlen abzeichnet.

Fuck U, Platon.



16.12.22

Was jetzt noch - nach all der Gedankensülze - fehlt und zu behaupten wäre:

Das individuelle Sein und Werden ist eine fortlaufende, immer wieder grundsätzlich anzustrebende Bereinigung von Unaufrichtigkeit und unreiner Reflexion, den eigenen Grundentwurf und die Selbstkonzeption betreffend.

Die Entwerfung, die im Grunde hinterlegt und situativ konzipiert ist, wird mit jedem identifizierten Selbstbetrug näher an etwas herangeführt, das niemals absolut und nur als Annäherung erreichbar sein kann, da es sich stets in und mit dem Augen-Blick verändert, in dem und indem ein Erkennen vollzogen ist.


Erkenntnis und Aporie setzen in solchem Zusammenhang einen tiefenstrukturierten und immer schon dynamischen Umschlag - niemals ganz jetzt, niemals völlig identisch, immer in Bewegung und sich in der Identifikation gleichzeitig selbst verfehlend, bzw im und nur für den Moment der Verfehlung identisch seiend.

Und, auch: sich immer wieder neu ausrufend und intendierend, im selben Vorgang.


Die Augen können sich selbst nicht sehen.

Der Blick begegnet sich selbst nur in Zurückgeworfenheit.

Der Gedanke kann sich nicht selbst denken, er muss sich reflexiv auf einer Meta-Ebene konfrontieren.


Eine völlige Authentizität ist bloß intentional existent, ebenso eine reine Aufrichtigkeit, nach innen und nach außen.

Mit jeder der Erkenntnis vorgeführten Ent-Larvung eines Selbstbetruges, dynamisiert sich aber ein Prozess, der die personalen Narrative der Identität über ein mauvaise-foi  hinweghebt, situativ und in umschlagenden Momenten, die dann zeitlich linear empfunden sind.


Sofern und alsbald dies unterlassen bleibt, und die „Ent-Idiotisierung“ somit nicht in der Intentionalität verankert ist, schreiben sich unmittelbar unreine Reflexionen ein, Wachstum stagniert und ein je eigener Prozess der Selbstverwahrlosung dynamisiert sich, auch, weil die Bereitschaft zu Katharsis und damit das Vermögen zur Selbsttranszendenz retardiert - es waltet dann dort Unaufrichtigkeit, wo Beteiligung an Grundentwurf und Selbstkonzeption vorliegt.


In Entsprechung bedeutete dann jede Aufrichtigkeit, und/oder jede reflexive Bereinigung der eigenen Entwerfung auch unmittelbar und durch sich selbst Veränderung, Bewegung, Dynamik

Jede Entlarvung hebt das Emergenzniveau der Situation - im Sinne des Entwickelns neuer Eigenschaften und eines übergeordneten Überwindens.



17.12.22

Wo war ich?

Ach so, Idiot.

Rangliste der traurigsten Sätze, Platz 1:

„Ich bin ja son Mensch, der…“


…zum Beispiel ständig allen und mir selbst erzählen muss, was ich für ein Mensch bin…


Je größer und lauter und konkreter die Selbst-Erzählung nach aussen hin angelegt ist, je direkter das ICH die Selbst-und Fremdwahrnehmung zu steuern und vorzugeben intendiert, desto kolossaler der dahinter und zuGRUNDEliegende Selbstbetrug, vielleicht auch das, was Sartre als mauvaise foi bezeichnet.

Desto unaufrichtiger jedenfalls der Grundentwurf.

Verzweifelte Selbst-Behauptungen, in doppelter Hinsicht, ein schriller Schrei nach so-sein-wollen und so-gesehen-werden-müssen, von aussen, von innen.


Sich die eigene Rahmenkonzeption wie ein Mantra aufsagen, bis aus dem auswendig Gelernten eine Inwendigkeit wird.

Wenn die eigene Mimesis die Vorstellung besetzt, als dauersendende Affirmation exerziert, um dann - als spiegelverkehrtes Vexierbild - zurückgeworfen und empfangen werden zu können. 

Oder so. 

Dachte ich eben.

Ob ich Idiot bin?


Gestern zum dritten Mal Brautalarm geschaut.

Zum dritten Mal gekrampft beim Lachen.

„…mir ist nicht übel. Ich hab sogar Hunger!“


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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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