WOANDERS
JULI 23/1 # WOANDERS
Es ist vor allen anderen dieses eine Bild, das sich mir zeigt, seitdem du aufgebrochen bist, tags, nachts, wach, und träumend:
Du nimmst deine Brille ab und wischst dir Tränen aus den Augen, die du lachen musstest, lautstark, aus voller Kehle und mit ganzem Herzen, mit all der dir eigenseienden Wucht deiner Konstitution.
Darin ist beides enthalten, Lachen und Weinen, Freude und Traurigkeit, all das, was im Ineinandergreifen diese Reibung und Beweglichkeit erzeugte, die wie ein starker Motor dich und alles um dich in Bewegung setzte und hielt.
Darin ist die Einlassung und Eingelassenheit enthalten, die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich zuallertiefst
ein-zu-lassen, auf das Leben, auf Menschen, auf Situationen und auf die eigene Situiertheit, in aller und in letzter Konsequenz.
Nicht wegschauen, nicht vorbeifühlen, immer teilnehmen, sich voll und ganz reinschmeißen, in das eigene Scheitern und Gelingen.
Da konnten dir Körperteile entfernt, Organe entnommen und verlegt sein, Hauptgefäße platzen oder Gewalt angetan sein - du hast einfach und immer weiter alles und alle in Grund und Boden gelacht und geliebt.
Du warst ein Liebender, und du bist es immer, denn die Liebe bleibt, die eine Solche ist, weil sie von sich selbst absieht.
Nichts kann weiter entfernt sein von Liebe, als das auf sich selbst reduzierte ICH.
Jeder Abstand, der zwischen das Sein und das ICH gesetzt ist, führt näher an etwas heran, das der Liebe ähnlich sehen und dieser nahe kommen kann.
Du hast die Menschen geliebt, nicht obwohl, sondern gerade WEIL du den Mut hattest, sie zu erkennen, im Wesenskern, sie angenommen hast, mit all ihren Widersprüchen und Unzulänglichkeiten, auch deinen eigenen.
„Die Menschen sind nicht immer leicht zu ertragen.
Aber es sind die einzigen und immer die besten, die es gibt.“
Nicht selten, dass so ein herangezogenes Zitat von dir den letzten Impuls darstellt, um sich wieder zu entscheiden, für das Richtige.
Du und deine Liebe fehlen hier, fehlen mir, und Du fehlst uns, mehr, als du es bis zuletzt vermutet hast.
Diesen Zweifel, an deinem Wirken und dessen Überdauern, der dich auch und gerade gegen Ende deines Weges noch heimgesucht hat, einfach daran, ob du erinnert wirst, auch der war Bestandteil einer kompromisslosen Zartheit, mit und in und anhand der du alle und dich schonungslos gefordert hast.
Eine sanfte Kraft und Inbrunst, die manche, deren Sehen zu sehr nach innen und auf sich selbst gerichtet blieb, verwechseln mussten, mit etwas Brachialem und zuletzt auch mit Egoität und Selbstbezogenheit - viel gröber konnte man dich und dein Wesen kaum entstellen…
Sowieso, all die Zwerge, die immer wieder versuchten, auf deine Schultern zu springen, die dich mystifizierten und zum Übermensch verklärten, um sich selber in diesem grellen Licht zu sonnen, die dich künstlich aufpumpten, um sich zu erhöhen und um von dieser falschen Spannung zu profitieren, die vermochtest du selber nicht zu sehen und zu identifizieren, auf diesem Auge musstest du blind bleiben, für dich selbst, die konntest du immer weniger auch abschütteln, weil dir zunehmend die Kraft für diesen Aufwand abging.
Das hinterließ dich verwundbar, verletzlich, gerade ob deiner bald schon wundgescheuerten Reibeflächen, die du denen botest, die sie brauchten -und viel zu oft missbrauchten.
Da und an dieser Stelle, an dieser Wunde zur Welt, da und davor musstest du selber „geschützt“ werden.
Das hat S getan, immer wieder, liebevoll, sorgenvoll, mit ihrer eigenen Hingabe, Hingebung und Hingegossenheit hat sie sich in Schussbahnen und Kugelhagel gestellt, hat all die An-und Übergriffe auf sich gelenkt und projizieren lassen, dort, wo du es nicht hättest verkraften und einfach weglieben können.
Auch das klingt seltsam stilisiert und verklärt.
Aber die Wirklichkeit ist beizeiten auf eine Art real, dass sie es schon nicht mehr zu sein scheint.
Auch dies ist eine Eindrücklichkeit jener letzten Tage, bei dir, mit dir.
Du hast vom Angekommensein gesprochen, ganz zum Schluss, vom Ankommen bei, durch und mit S, in der Liebe, von ihr, zu ihr.
Ja, klar, jetzt: Bedeutet Ankommen, dass die Strecke zurückgelegt ist, dass keine Entfernung mehr zurückzulegen ist?
Ist man angekommen, wenn ein Weg zuende geht?
Du fehlst.
Da ist eine Lücke, eine Leerstelle, die dort riesengroß aufklafft, in dem Raum, den du einnehmen konntest, nicht, weil du danach geschrien oder ihn dir freigeschubst hättest, vielmehr weil und indem dein Handeln und Sein diesen Raum erst geschaffen und bereitgestellt hat.
Der war vor dir, ohne dich, gar nicht existent.
Du hast Räume und Möglichkeiten gestaltet und aufgezeigt, die immer noch als Solche bestehen, die auszufüllen und zu verwirklichen sind und bleiben, das wird mir erst langsam klar, auf Abstand und Distanz, auf zurückgelegter Strecke.
Und dass ebendiese Lücke, die du hinterlässt und die besteht, ohne dich keine Lücke war, sondern eben einfach:
Nichts. Leere, nicht Leerstelle.
Erst mit dir ist da Raum und Räumlichkeit entstanden, der und die zu gestalten ist, von jedem, der dir nahesteht.
Raum, (auch) als ein ganz grundsätzliches Nebeneinander.
Lücke bedeutet, dass da zuerst Bestand ist, um diese Lücke herum, und Raum, um den Bestand herum.
Ich weiss, du verstehst das, was ich meine, zu meinen.
Danke also, für diese Lücke, für das Vermögen, Lücken zu empfinden.
Es kann sich jeder fragen, wo er denn stand, wer er denn war oder glaubte, sein zu können, vor dir, vor deinem strengen und liebevollen Blick.
Es ist immer auch der Blick, die Schnittmenge, die sich bildet, aus Selbst-und Fremdwahrnehmung, aus eigener Rahmenkonzeption und aus dem Angesehensein, in dem sich eine Selbstheit auftut, aufhält und anhand derer sie sich findet, oder eben nicht, oder verliert.
Das Angebot, das ein Jeder macht, hinsichtlich der Schnittmengen, gestaltet und konstruiert sich gerade aus dem Absehen von sich selbst, aus der Entscheidung heraus, von sich selbst abzusehen, zugunsten des Blickes, der auf den anderen geworfen wird und der diesen mitgestaltet und als konzeptionelle Möglichkeit entstehen lässt.
Jede Selbsterklärung beansprucht Raum in solchen Schnittmengen, der somit genommen ist, vom Gegenüber, in Hinsicht und im Hinblick auf das Gegenüber.
Was ich sagen will: da war keine Inanspruchnahme, keine Beanspruchung und kaum Raum, der von dir genommen war,
der das von dir (An-)Gesehensein ablenkte, irritierte, reduzierte.
Wie entscheidend das hinsichtlich deiner Tätigkeit und deines Wirkens war, hat zuletzt auch die Menge der Klienten gezeigt, die am Freitag Abschied nehmen wollten, wie auch deren Anteilnahme und Bewegtheit.
Kein Gott, kein Mythos, keine Sagengestalt. Einfach nur ein Mensch, das bist du gewesen. Du hast versucht, menschlich zu sein, wirklicher Mensch, menschlicher Mensch.
Wie unvergleichlich gut dir das gelungen ist, können die sagen, die dich kannten und dir nahestanden.
Und es ist nicht mein, dein, unser Leben.
Es war und ist immer nur, in vollem Umfang, DAS LEBEN.
„Wir sehen uns woanders“.
Das hast du noch gesagt, am Ende.
Und ich bin mir sicher, dass du das auch genau so meintest und empfunden hast, wie immer.
Und es ist sicherlich kein Zufall, dass auch und selbst dies, in dieser Situation, noch Trost spendete.
Bis dann, Großer…
Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest
Hallo flo, dass ist ein wunderschöner, hoch emotionaler Text! Auch wenn ich die Person um die es geht nicht kannte. Liebe grüße