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circus bambini

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Januar 22#3 circus bambini

Handelt von:

Wie man sich selbst Zumutungen aussetzt, indem man die Räume betritt, die von der eigenen Wirklichkeit eingerichtet sind.

Heute:

Die Selbstgefälligkeit und die öffentliche Inszenierung von Eltern mit ihren Kindern.

Man registriert das sofort und ist unmittelbar als Zuschauer, als Zeuge dieses Schauspiels installiert, zur Teilnahme aufgefordert, ohne das zu wollen.

Ähnlich eines Saunabesuchs, muss man sich dazu zwingen, NICHT hinzuschauen, zuzuhören, die Interaktion muss aktiv geradezu verweigert werden, da selbst die unbeteiligte Anwesenheit soviel Scham und Selbstablehnung erzeugt, einfach durch die Verwicklung in ein derart lächerliches Theater. Ja, wir wissen und haben verstanden, ihr seid stolze Väter und Mütter von ganz tollen Kindern, ihr habt ein ganz lockeres Verhältnis und obendrein ganz viel Spaß. 


Die Intention dieser Leute ist mir noch nicht ganz klar, die Entstehungsumstände schon eher:

Man wird automatisch von der gesellschaftlichen Wahrnehmung in eine Position von Exaltiertheit und erlaubter Mimetiküberzeichnung bugsiert, wenn erkennbar wird, dass man das unglaublich selbstlose Kunststück vollführt hat, Kinder in die Welt zu setzen. 

Reagieren lässt sich darauf höchstens noch mit Rücknahme von allem, was an öffentlich stattfindender Intersubjektivität künstlich, nicht notwendig und hinzugefügt ist.

Das ist sinnvoll, weil das Kind ja nicht blöd ist, das Theater, das Mama und Papa da bemüht sind, aufzuführen, sofort identifiziert, mit sich selbst in Zusammenhang bringt und sich merkt, dass einerseits die eigene Existenz zum Angeben verleitet und außerhalb der eigenen vier Wände Inszenierungen gefragt sind, die sich vom üblichen Habitus unterscheiden. Bestenfalls.


Unnötiger Stress und nervende Nebengeräusche werden da von den eigenen Vorstellungen erzeugt, die SOZIALES betreffen und die Bereitstellung einer eigens dafür konzipierten, sozialen Identität, einfordern. 

Es fehlt jede Form von kritischer Beleuchtung der Elternexistenz, sofern man sich gesellschaftlich kompatibel verhält, was bedeutet, dass man dieses Spiel NICHT verweigert, eine Vaterfigur entwickelt, die für die anderen Väter mit der je eigenen Konzeption an Anbiederung korreliert. Man muss sich bestenfalls also selber lächerlich machen, nachsichtig mit der der eigenen und fremden Verdeppung umgehen und sich obendrein aus den interaktiven Schnittmengen mit dem eigenen Kind temporär verabschieden, um sich in die bereitgestellten und vorgesehenen Schablonen einfügen zu können - „ich bin gleich wieder BEI DIR, Finn-Lukas, ich muss nur eben kurz Zirkus für die anderen veranstalten, ich tu das auch für dich, damit du später nicht gemobbt wirst oder Einzelgänger bleibst, bis gleich!“


Auch nicht angenehm: Die Konspiration, die sofort aufgegriffen wird, sobald man angenehm unsichere, nicht vollständig souveräne Eltern antrifft, die ebenfalls gestresst sind vom method-acting und der Hypermimetik der anderen. Da reicht dann ein Blick, und das angenehme Gefühl einer teilbaren Wahrnehmungsentsprechung hebt die Beteiligten über die dadurch Ausgeschlossenen, die darauf mit noch lärmenderer und überzeichneter Gebärde reagieren - ähnliches Prinzip, keinesfalls edler, nur weniger schmerzhaft und beschämend für einen selbst.


Betreff: Wenn sich kulturelle und soziale Identität auf eine Art unterscheiden, die den Wechsel von ICH zu MICH nicht mühelos durchführbar und für mich und die anderen sichtbar macht. Oder so.

Tut jedenfalls weh, erzeugt Krampf, für alle Beteiligten, ist obendrein unnötig.

Natürlich ist das Arbeit, den eigenen Grundentwurf dezent und relativ unangewiesen auf den Blick der anderen zu halten, die eingenommenen Rollen jeweils an die vorgefundenen und entworfenen Situationen derart anzupassen, dass eine auf Nötigstes reduzierte Mimetik der internalisierten Absicht folgen kann, Begegnungen zu ermöglichen, an denen die Beteiligten sich erfreuen, weil man sich sympathisch finden und sich SEIN LASSEN kann, ohne Verrenkung und Theatralik.

Aber: Alles andere ermüdet, strengt an und vermittelt ein Bemühen, dessen Mehrwert sich mir nicht erschließen will.

Und die alternativ und als Selbst-schutz bereitgestellte Verachtung, die durch Abstumpfungsprozesse allerseits allen entgegengebracht werden kann, wenn die Wirklichkeitsverzerrung zu bedrängend erscheint, ist nicht immer aufwandlos rückgängig zu machen, fungiert fortan unbemerkt als Sinusknoten des eigenen Wahrnehmungs-und Empfindungsgeschehens, bis man sich irgendwann wieder ausreichend runtergepegelt, aufgerichtet und aufrichtig vorfindet, um den Maskenball verlassen zu können. 

Bis zum nächsten Mal, in diesem Theater.



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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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