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Ein Zurück hat es noch nie gegeben

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März 20 # ein zurück hat es noch nie gegeben

Es ist nicht das erste Mal, dass wir in unserer vernetzten, globalisierten und digitalen Gesellschaft eine gemeinsame Anforderung, einen gemeinsamen Feind haben ( Klimawandel, Rassismus, Systemzusammenbrüche etc ). Aber es wird das erste Mal ( gewesen ) sein, dass wir in einer uns unmittelbar betreffenden Weise dazu aufgefordert sind, uns gemeinsam einem solchen, unser Welt-Kollektiv bedrohenden Opponenten, zu stellen, oder andernfalls kollektiv zu scheitern. Es wird auch die Frage sein, ob und wie schnell wir dies erkennen und dieser Anforderung begegnen. Einzelne Staaten mögen die Türen nach außen verschließen, im Versuch, einen Feind auszusperren, der sich bereits innen aufhält, mögen national-vereinzelte Maßnahmen ergreifen, es wird uns nicht davor bewahren, miteinander zu sprechen, gemeinsam zu handeln und uns als das wahrzunehmen und zu begreifen, was wir sind und immer schon im Begriff waren, zu sein: Eine Gesellschaft.

Weltkriege führten jeweilig zu Bündnissen, zu einer neuen oder verändernden Freund-Feind Ordnung der Welt, die es einzelnen Staaten ermöglichen sollte, sich gemeinsam und abgestimmt zu organisieren, gegen wiederum andere Staaten und Bündnisse solcher. Das ist in der jetzigen Situation weder gefragt, noch sinnvoll. Wer das nicht begreift, hat überhaupt noch nichts begriffen. Und es ist auch mitnichten so, dass diese Situation uns von irgendetwas entfernen würde, das für unser Dasein essentiell wäre oder sein könnte. Es bringt uns diesen ursprünglichen Essenzen sogar näher, konfrontiert uns mit den Verzerrungen und Deformierungen unseres Daseins und unserer Welt-und Menschauffassung. Viele vermeintlichen Errungenschaften der Individualisierung liegen nun nutzlos und sinnbefreit brach, entpuppen sich als Reaktionen auf unsere Langeweile, unseren Überdruss und unser Unvermögen, dem Dasein Bedeutung und Sinnhaftigkeit abzutrotzen, indem wir dies empfinden. Und jede Form dieser Langeweile und dieses Überdrusses existierte lediglich als Symptom fehlender Demut, degenerierter Humanität und irrtümlich angenommener Selbstverständlichkeit. Einer sich von seinen Ursprüngen nur entfernenden Mensch-und Naturauffassung. 

Das , was momentan bedroht ist, sind all die Dinge, die die Grundstruktur menschlichen ( Zusammen-) Lebens konstituieren und auf die wir uns möglichst (rück-) besinnen und beziehen mögen, die Grundphänomene des Daseins: Beziehung, Glaube, Entschlossenheit, Bekennen, all jenes, was sich mit jeder Faser in und durch unsere Stofflichkeit webt, ohne dass wir dies bemerkten oder bewusst befeuerten. Eine Konzentration auf das, was das Gemeinsame und Verbindende zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und Natur darstellt, ist mindestens erforderlich, wenn nicht gar selbstvollzüglich.

Womit wir konfrontiert sind, waren wir schon immer und werden es immer sein. Es mag uns in dieser Heftigkeit und Unmittelbarkeit ängstigen, ist aber möglicherweise zwangsläufig, ist einfach Teil oder Moment eines übergeordneten, anthropozänen Vollzuges, einer strukturellen und ontologischen Notwendigkeit, die wir auf dem Wege unserer Selbststrukturierung zu durchlaufen haben, die uns die nächsten Schritte gehen oder vollziehen lässt? Etwas zu vollziehen und zu vollbringen, das wir auf eine andere Weise nicht umgesetzt, dessen wir uns nicht vergegenwärtigt hätten? Einfach nur ein Umschlag, wie es viele Umschläge gab und immer gegeben haben wird? Eine Bewusstheit und eine Empfindung unserer vulnerablen Natürlichkeit und unseres Aufeinanderbezogenseins?

Und dieser Umschlag ist weniger die Pandemie, als vielmehr das Emergenzniveau, auf dem wir dieser begegnen, gemeinsam und individuell, welche neuen Eigenschaften und Kulturtechniken wir in der Lage und bereit sind, zu entwickeln, um zu bewältigen und zu reifen. Ein Zurück wird es nicht geben. Aber ein Zurück hat es noch nie gegeben.

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Autor Florian Giesenhagen

Dipl.-Hygiagoge im Hygiagogik-Zentrum Nordwest

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